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EINGESTELLT: Prozess gegen Antifa am 25. November 2013

megafon

Am 25. November 2013 findet vor dem Amtsgericht Wolfsburg die Hauptverhandlung gegen Olaf statt, der Lüneburger Antifaschist ist wegen angeblicher „Aufforderung zu Straftaten“ angeklagt. Er soll am 1. Juni 2013 eine rund 200köpfige Gruppe von Antifaschist_innen „angeführt“ und mehrmals per Megafon dazu auf gerufen haben, einen Naziaufmarsch zu verhindern bzw. zu blockieren.
Am 1. Juni 2013 fand im niedersächsischen Wolfsburg der sog. „Tag der deutschen Zukunft“ statt, ein rassistischer Aufmarsch norddeutscher Neonazigruppen. Während 6000 Menschen gegen den Naziaufmarsch protestierten, ermöglichte ein riesiges Polizeiaufgebot den rund 550 Nazis einen ungestörten Marsch durch ein Gewerbegebiet. Weiterlesen

Mit Schlagstöcken und Fäusten

Wolfsburg: Nazigegner kritisieren massive Polizeigewalt bei Demo gegen rechts am Samstag

Klaus Mohrs war voll des Lobes. Gemeinsam habe man »ein Bekenntnis für Demokratie und unseren Rechtsstaat geleistet« und »ein starkes Zeichen gesetzt«, sagte der Wolfsburger SPD-Oberbürgermeister. Er bezog sich dabei auf die Proteste gegen Rechts am Samstag: Rund 7000 Nazigegner hatten bei Kundgebungen, mit Blockadeversuchen und auf einem Fest gegen einen Aufmarsch von knapp 600 Neofaschisten in der VW-Stadt demonstriert.

In seine Danksagung bezog der Oberbürgermeister auch die Polizei ein. Er habe »großen Respekt vor den vielen Polizistinnen und Polizisten, die unter den erschwerten Bedingungen für unser aller Sicherheit gesorgt haben«, so Mohrs. Die Polizei war mit rund 3000 Beamten im Einsatz. Sie ermöglichte die Demonstration der Rechtsextremisten auf der vom Verwaltungsgericht genehmigten Route durch das Wolfsburger Industriegebiet – die Stadt hatte den »Tag der deutschen Zukunft« zuvor verboten.

Aus Sicht von Wolfsburgs Polizeichef Hans-Ulrich Podehl war am Samstag alles unter Kontrolle. Schade aber sei, »daß es immer Beteiligte gibt, die die gewalttätige Auseinandersetzung mit der Polizei suchen«. Damit meinte Podehl 450 Nazigegner aus der »gewaltgeneigten linksextremen Szene«. Immer wieder hätten Gruppen versucht, sich zu Blockaden zu formieren und auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Vereinzelt sei es in der Innenstadt zu Steinwürfen gegen Polizisten gekommen. Elf »Linksextreme« seien kurzzeitig in Gewahrsam genommen und 29 strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Ganz anders hat die Grüne Jugend Göttingen den Samstag in Erinnerung. Sie beklagt massive Polizeigewalt gegen linke Demonstranten. Mehrere Aktivisten seien durch Pfeffersprayeinsatz, Schläge mit Fäusten und Schlagstöcken sowie den Einsatz einer Pferdestaffel verletzt worden. »Mir wurde mehrfach von einem Polizisten mit geballter Faust und gepanzerten Handschuhen mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen«, schilderte ein Mitglied gegenüber jW seine Erlebnisse. Nach Ankunft in Wolfsburg habe die Göttinger Gruppe erst nach 45 Minuten den Zug verlassen dürfen, nur um dann eine weitere Dreiviertelstunde in der Bahnhofsunterführung festgehalten zu werden. »Damit wurde uns der Zugang zu einer angemeldeten Kundgebung bewußt verwehrt, bis wir unter wüsten Schlägen und Tritten auf den Bahnsteig geprügelt wurden.« Friedliche Blockadeversuche seien gewalttätig unterbunden worden. Ein weiterer Betroffener berichtete, er habe »eine volle Ladung Pfefferspray ins Gesicht bekommen, als wir friedlich Solidarität mit eingekesselten Mitgliedern der Gewerkschaft ver.di bekunden wollten«. »Die Ankündigung der neuen Landesregierung, antifaschistisches Engagement zu stärken, wurde gestern ad absurdum geführt«, bilanziert die Grüne Jugend.

Junge Welt, 4. Juni 2013
http://www.jungewelt.de/2013/06-04/035.php

Demo am Samstag – Größter Einsatz in der Geschichte

Die rechtsradikale Demonstration bedeutete für Wolfsburg den wohl größten Polizei-Einsatz in der Geschichte.

Der Polizeieinsatz am Samstag war der größte in der Geschichte Wolfsburgs. Rund 3000 Polizisten aus mehreren Bundesländern waren den Tag über im Einsatz. Außer den Polizisten aus Wolfsburg und der Region waren auch mehrere Hundertschaften aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt nach Wolfsburg gefahren. Nach unbestätigten Informationen der Wolfsburger Nachrichten hat der Einsatz rund drei Millionen Euro gekostet.

Wolfsburgs Polizeichef Hans-Ulrich Podehl dankte den Wolfsburgern gestern für „ihren friedlichen und kreativen Protest“. „Die Aufrufe der Polizei im Vorfeld des Geschehens, Gesicht für die Demokratie zu zeigen und durch eigenes Verhalten bei Demonstrationen zur Friedlichkeit beizutragen sowie Abstand von gewaltbereiten Gruppierungen zu nehmen, haben deutlich Wirkung gezeigt“, sagte Podehl.

Probleme gab es vor allem mit Demonstrationsteilnehmern, die zu der gewaltgeneigten linksextremen Szene gezählt werden.

Diese hätten in Gruppen versucht, auf die angekündigte Marschstrecke der Rechtsaktivisten zu gelangen. „Durch die konsequente Umsetzung unseres Sicherheitskonzepts kam es zu keinen erheblichen Störungen beider Demonstrationen“, sagte Podehl.

Im Internet gab es Vorwürfe gegen das Vorgehen der Polizei. Diese habe unverhältnismäßig reagiert, hieß es unter anderem in einer Pressemitteilung der Grünen Jugend Göttingen.

Polizeichef Podehl dankte außerdem den Verantwortlichen der Stadt Wolfsburg für die Zusammenarbeit in der Vorbereitung.

Auch die Stadtverwaltung zog eine weitere Bilanz. Es seien zahlreiche Menschen im Einsatz gewesen. Allein 8 Mitarbeiter seien in der Einsatzleitung beschäftigt gewesen. 20 Mitarbeiter seien für den städtischen Ordnungsdienst dabei gewesen. Im Einsatz waren auch zahlreiche Feuerwehrleute und Mitarbeiter von Rettungsdiensten. Die Freiwilligen Feuerwehren Fallersleben, Vorsfelde, Kästorf/Brackstedt und der Löschzug Ost waren dabei. Von den Maltesern, dem Deutschen Roten Kreuz und dem Technischen Hilfswerk waren Männer und Frauen im Einsatz – insgesamt rund 200 aus diesen Gruppen.

Die städtischen Mitarbeiter waren am Samstag auch mit Abschlepparbeiten beschäftigt. Vom VW-Parkplatz am Hauptbahnhof wurden rund 60 Autos von acht Abschleppwagen auf den VW-Parkplatz Wellekamp gebracht. Auch aus dem Industriegebiet entlang der Route, auf der die Neonazis marschierten, mussten Autos und vor allem Fahrräder sichergestellt werden. Wer sein Zweirad vermisst, sollte sich an die Stadtverwaltung wenden. Im Service Center der Stadt Wolfsburg gibt es Informationen dazu, wann und wie die Eigentümer ihre Fahrräder zurückerhalten. Zu erreichen ist das Service Center unter der Bürgerrufnummer 115 oder über Telefon (05361) 28 12 34.

Wolfsburger Nachrichten, 3. Juni 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/demo-am-samstag-groesster-einsatz-in-der-geschichte-id1028975.html

Wackeliger „Schulterschluss“

Die angebliche Einigkeit zwischen NPD, Kameradschaften und „Die Rechte“ entpuppt sich bei der Demonstration in Wolfsburg als schnöde Propaganda – „Freier Widerstand“ formiert sich als Alternative zur NPD in Niedersachsen.

Offiziell sollten die Teilnehmer und Redner des „Tags der deutschen Zukunft“ (TddZ) am 1. Juni in Wolfsburg laut Organisator Dieter Riefling „das gesamte Spektrum des Nationalen Widerstandes“ widerspiegeln, doch ohne verborgene Kampfansage an die NPD unter Holger Apfel lief der Aufmarsch am Samstag mit rund 500 Teilnehmern nicht ab.

Allein schon die Ansage, dass der nächste „TddZ“ Anfang Juni 2014 in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden stattfinden soll, kann als Affront gegen den dortigen Landesverband der Partei gewertet werden, denn Riefling und seine Truppe arbeiten vor allem eng mit dem NPD-kritischen „Netzwerk Mitte“ und den „Freien Nationalisten“ der Region zusammen. Deren Vertreter Maik Müller kritisierte einige „Vertreter der NPD“, die gefordert hätten, „man möge doch die BRD als demokratischen Rechtsstaat erhalten“. Müller lehnte das ab, sprach von der „hässlichen Fratze der Demokratie“ und forderte: „Zeit für eine sozialistische und nationalistische Wende, liebe Volksgenossen!“ Für den Dresdner trägt die Fahne die Farben des „Deutschen Reiches“. In seinem Redebeitrag zitierte er den verstorbenen bayrischen Altnazi Friedhelm Busse, der nicht als Parteigänger galt: „Wir sind keine Palaverpartei, wir sind die radikale deutsche Kampforganisation zur Veränderung der BRD“.

Ehemaliger Kader der verbotenen „Blood&Honour“-Organisation

Gemeinsam mit Dieter Riefling organisierten vor allem alte Hamburger Kameradschaftskader wie Christian Worch und Thomas Wulff die Demonstration. Worch ist Gründer der NPD-Konkurrenzpartei „Die Rechte“, deren Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen liegt. Doch erwartungsgemäß wechseln auch ehemalige freie Weggefährten, die vorübergehend bei der NPD aktiv waren, wieder zurück in Worchs Reihen. Teile der Szene scheinen sich an dieser Tendenz zu spalten, denn der vermögende Erbe mit dem selbstgefälligen Touch ist nicht unumstritten.

Dieter Riefling, der Moderator der Veranstaltung, ist ein ehemaliger Kader der verbotenen „Blood&Honour“-Organisation, später kandidierte auch er für die NPD. Er gilt seit Jahren als polizeibekannt. Bei einer häuslichen Auseinandersetzung mit seiner früheren Ehefrau, die im Bundesvorstand der NPD aktiv ist, kam es vor einiger Zeit zu einem Notruf bei der Polizei. Riefling wird zum Umfeld des „Nationalen Widerstands“ in Hildesheim sowie der „Bürgerinitiative für Zivilcourage“ gezählt.

Die Neonazi-Redner sprachen mehrfach von Wolfsburg als „KdF“-Stadt. Während des Nationalsozialismus hieß die neu gegründete Wohnstadt für die Volkswagen-Mitarbeiter offiziell „Stadt des KdF-Wagens“, gemeint war die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ sowie der Vorläufer des in Wolfsburg produzierten VW-Käfers. Die Gegenproteste blieben an dem Samstag allerdings weit hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Nur wenige Tausend Menschen demonstrierten in der Nähe des Wolfsburger Hauptbahnhofs.

„Hervorragende Gilde an Rednern der Bewegung“

Tatsächlich nahmen an dem Marsch durch ein Gewerbegebiet in der niedersächsischen Autostadt kaum lokale NPD-Funktionäre teil. Dem „NPD Niedersachsen“-Transparent mit seinen vier Trägern, darunter der Anhänger der „Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg“ René Grahn, folgte keine Fußtruppe. Anders als von Riefling propagiert, scheint es mit dem „engen Schulterschluss“ zwischen NPD, der Worch-Partei „Die Rechte“ und Freien Kräften schlecht zu laufen. Seine „hervorragende Gilde an Rednern der Bewegung“ bestand mit Ausnahme des Berliner Landeschefs der NPD, Sebastian Schmidtke, vor allem aus ehemaligen Parteikadern oder Worch-Sympathisanten wie Wolfram Nahrath aus Berlin, Thomas Wulff genannt „Steiner“, Michael Brück aus Dortmund und eben Maik Müller aus Dresden.

Einige der Teilnehmer aus Nordrhein-Westfalen sind wie Brück aus dem Umfeld des verbotenen „Nationalen Widerstands Dortmund“ in die Führungsebene von Worchs „Die Rechte“ gewechselt. Ebenso der Anführer der verfassungsfeindlichen „Kameradschaft Hamm“, der vorbestrafte Bielefelder Student Sascha Krolzig, der in Wolfsburg außerhalb des Aufmarsches als Pressevertreter auftrat und sich mit gültigem Ausweis unauffällig unter die zahlreichen Medienvertreter mischte. Krolzig und Brück gehören sogar dem Landesvorstand der „Rechten“ an.

An der Neonazi-Demonstration in Wolfsburg nahmen rund 70 junge Frauen teil, das entspricht einem Anteil von 14 Prozent. Viele von ihnen widersprachen gängigen weiblichen Klischees und trugen knallbunt gefärbte Haare. Keine von ihnen ging in diesem Jahr an das Rednerpult. Bei den menschenverachtenden Parolen brüllten sie jedoch genauso laut mit wie die Männer.

„Aryan Brotherhood Supporter“ unter den Teilnehmern

Insbesondere die zahlreichen Transparente und Fahnen der „Freien Nationalisten“ aus Niedersachsen verhöhnten den schwachen NPD-Landesverband unter dem unbeliebten Parteichef Ulrich Eigenfeld. Die „Freien Kräfte Niedersachsen Ost“ setzen sich vor allem aus Braunschweiger Aktivisten der „Aktionsgruppe 38“, der „Kameradschaft Thormania“, dem „Widerstand Gifhorn“ und Wolfsburger Neonazis zusammen. Die „Aktionsgruppe Weserbergland“ vertrat die westliche Region und die „Weißen Wölfe Terrorcrew“ sowie Anhänger aus der Nordheide und der Landeshauptstadt Hannover ergänzten das Bild.

Ansonsten kamen Kameradschaftsanhänger und „Autonome Nationalisten“ vor allem aus Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Schleswig-Holstein. Michael Fischer von der „Aktionsgruppe Weimarer Land“ trat als einer der Mobilmacher mit Megaphon auf. Er brüllte Parolen wie: „Alles für Volk, Rasse und Nation“ vor. Rhythmisch klatschend hüpften die schwarz gekleideten Popnazis dazu.

Neben einer Karikatur von Bundeskanzlerin Angela Merkel stand auf einem Transparent der „Aktion Widerstand“ aus Magdeburg „Multikulti ist gescheitert“. Ähnliche Aussagen trugen Aktivisten aus Neuruppin-Wittenberge oder Nordfriesland vor sich her. Aber auch Sprüche oder Tattoos wie „NO MC Red“ oder „2040 – Minderheit im eigenen Land“ waren zu lesen. Einer der Teilnehmer gab sich gar als „Aryan Brotherhood Supporter“ zu erkennen. „Aryan Brotherhood“ gehört in den USA zu den größten und gefährlichsten Neonazi-Organisationen, die für zahlreiche Verbrechen verantwortlich gemacht wird. Die ebenfalls anwesenden Anhänger der „Arischen Bruderschaft“ stammen aus Südniedersachsen und Thüringen.

„Eine neue Zeit deutscher Herrlichkeit“

Angekündigt als Nachfolger des verstorbenen Hamburger Neonazis und Rechtsanwalts Jürgen Rieger, der an „vorderster Front“ in dessen „Fußstapfen“ getreten sei, übernahm Wolfram Nahrath aus Berlin das Mikrophon. Der in der Szene beliebte Jurist, letzter Bundesführer der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ schwadronierte von der „Heiligkeit der Existenz des deutschen Volkes“, wetterte gegen die Parlamente und träumte so lange von einer „neuen Zeit deutscher Herrlichkeit“, bis ihn Organisator Dieter Riefling bat, ans Ende zu kommen. Da hatten kaum noch Neonazis der pathetischen Rede Nahraths zugehört. Auch Riefling gähnte. Doch Nahrath kam mit seinem völkisch-geprägten Frage- und Antwort-Spielchen noch mal richtig in Fahrt und krächzte heiser: „Glaubst du an Deutschland?“ Worauf ihm pflichtbewusst mit „Ja“ geantwortet wurde. Allein Uwe Meenen aus Franken stand regungslos hinter Nahrath, hörte zu. Der umtriebige NPD-Funktionär gilt als emsiger Apfel-Kritiker. Ebenso wie Wulff im Norden zieht Meenen im Süden seit Jahrzehnten die Fäden im Hintergrund.

Etwas mehr Stimmung kam auf, als der niederländische Hitler-Darsteller und Szene-Aktivist Stefan Wijkamp einige Worte sprechen durfte. In niedlichem Holländisch rief der Mann mit Hitlerbärtchen, Seitenscheitel und Mantel: „Ihr fragt euch, was macht der Holländer hier beim TddZ? Ich kann Euch beruhigen, ich fahre heute Abend nach Hause“. Dann brüllte er hinterher: „Schön wäre es, wenn alle Ausländer das Gleiche tun würden.“ Die Menge wachte auf und grölte. Wijkamp erklärte, Niederländer und Deutsche seien „art- und blutsverwandt direkt“, und er „möchte nicht sehen, dass das deutsche Volk untergeht bei dieser multirassionalen (!) Demokratie jüdisch-westlicher Grundlage“. Die Begeisterung wuchs noch. Wijkamp wurde sentimental und schloss mit seinem Bekenntnis zur „germanischen Zukunft“ und dem Satz: „Ich bin der Ausländer, der Deutschland lieb hat.“

Gewaltsamer Zwischenfall in Magdeburg

Nach einem Marsch durch ein völlig menschenleeres Gewerbegebiet am Rande des Hauptbahnhofes in Wolfsburg fand die laute aber wirkungslose braune Veranstaltung am Samstag am späten Nachmittag ein Ende. Die meisten Teilnehmer reisten mit Zügen ab. In Magdeburg kam es noch zu einem gewaltsamen Zwischenfall, als gegen 18.45 Uhr etwa 30 Thüringer Neonazis in ein Einkaufs-Zentrum zogen und dort auf eine Autogramm-Stunde von TV-Serienstars stießen.

Bei Facebook taten deren Ansprechpartner Schläge und Reizgas dann als „Zwischenfall“ von „Chaoten“ ab. Laut Pressemitteilung der Polizei waren fremdenfeindliche Parolen der Auslöser dafür, dass angeblich einer der Besucher auf die große Gruppe Rechtsextremisten einschlug. Die gingen dann auf den noch unbekannten Mann los, der fliehen konnte. Wichtiger als die latente Gewaltbereitschaft randalierender Neonazis scheint indes für Polizei, Fangemeinde und Promis die Tatsache, dass es keinen „Bezug der Auseinandersetzung“ zur Autogramm-Stunde gegeben haben soll.

Blick nach Rechts, 3. Juni 2013

Bunte Party gegen Nazi-Marsch: Tausende feierten am Nordkopf

Mit gleich zwei bunten Festen machte der Wolfsburger Schulterschluss unter Federführung der IG Metall gegen den Nazi-Aufmarsch mobil. Neben der Party auf der Piazza fand auf dem VW-Parkplatz an der Heinrich-Nordhoff-Straße die große Gegenveranstaltung mit Live-Musik statt. Rund 5000 Wolfsburger feierten und demonstrierten friedlich.

Schon Stunden vor der Ankunft der Nazis am Hauptbahnhof legten sich Bands und Redner auf der riesigen Bühne ins Zeug. „Wir feiern ein Fest der Demokratie“, brachte IGM-Sprecher Joachim Fährmann das Motto auf den Punkt. Dazu trug auch Star-Komiker Bülent Ceylan bei. „Ich wollte Gesicht zeigen gegen Rechts“, stellte der türkisch-stämmige Schwabe klar und verspottete die ungebetenen Gäste mit derben Witzen. Auch Oberbürgermeister Klaus Mohrs machte deutlich, was er von dem Gedankengut der Rechten hält. „Überfremdung gibt es nicht, schon gar nicht in Wolfsburg. Hier haben sich Fremde integriert und sind zu Wolfsburgern geworden.“

Gegenüber prangte auf der Fassade des VW-Kraftwerks ein riesiges „Respekt“-Plakat. Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender Bernd Osterloh betonte: „Wir in Wolfsburg und bei Volkswagen stehen für eine bunte und vielfältige Gesellschaft, in der Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit keinen Platz haben.“ Und VW-Personalleiter Martin Rosik sagte: „Wir treten Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in allen seinen Formen entschieden entgegen.“

Bunt war auch die Trödelmeile, an der sich viele Vereine und Verbände mit Aktionsständen beteiligten. Die IG Metall war zufrieden: „Der Schulterschluss hat funktioniert“, so Fährmann.

Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 3. Juni 2013

An vielen Stellen war die Lage brenzlig

Immer wieder wollten Gegendemonstranten am Sonnabend die Demo der Rechtsradikalen blockieren. Die Polizei verhinderte das allerdings durch weiträumige Absperrungen. Dabei kam es immer wieder zu brenzligen Situationen.

Vor allem in der Ostsiedlung entlang der Reislinger Straße herrschte zeitweilig Ausnahmezustand. Die Polizei hatte alle Straßen und Wege in Richtung Demo-Route (Dieselstraße) abgesperrt, die Maßnahmen begannen bereits am Elsterweg (VfL-Stadion). In kleinen Gruppen versuchten die linken Gegendemonstranten, diese Absperrungen zu umgehen. Dabei führte der Weg zum Teil auch durch Kleingartenanlagen oder Waldstücke. Zudem spitzte sich die Lage zu, als die Nazis in Höhe Automuseum in die Dieselstraße einbogen und 300 Gegendemonstranten kurz vor einem Durchbruchsversuch standen. Ähnlich brisant war die Lage zeitweilig im Lerchenweg. Hier waren es zwar nicht so viele Demonstranten, doch immer wieder rückte die Polizei vor, um Widerstand rasch zu unterbinden. Dabei versuchten keineswegs nur Autonome, auf die Demo-Strecke zu gelangen. Auch ältere Gegendemonstranten wollten offenbar an einer Blockade teilnehmen.

Zum Ende der Veranstaltung kam es dann zu Rangeleien zwischen Polizisten und Demonstranten am Tryp-Hotel, weil offenbar Pferdeäpfel in Richtung Polizei flogen. Hier wurden Polizeihunde (mit Maulkorb) eingesetzt, alles passierte in einem Pulk von rund 200 Personen. Zu ernsthaften Ausschreitungen kam es aber nicht. Ein Hubschrauber kreiste immer wieder über Innenstadt und Ostsiedlung, um die Lage im Auge zu behalten.

Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 3. Juni 2013

Polizei kesselte hunderte Demonstranten ein

Auf der Marschroute der Nazis blieb alles ruhig. Krawalle gab es zwischen Autonomen und der Polizei. Brennpunkte waren in der Rothenfelder und in der Reislinger Straße. Dort kesselte die Polizei jeweils große Gruppen Gegendemonstranten ein und setzte sie für Stunden fest. Das Bündnis „No-Tddz“ kritisierte das Vorgehen der Polizei scharf.

Rothenfelder Straße: Kurz vor 12 Uhr bewegte sich ein Schwarzer Block vom Bahnhofsvorplatz über die Rothenfelder Straße in Richtung VfL-Stadion. In Höhe der Friedrich-Ebert-Straße flogen Steine in Richtung der Beamten – sofort wurden die Autonomen eingekesselt, rund 150 Personen wurden festgesetzt, darunter mehrere Minderjährige. Olaf Meyer vom Bündnis „No-Tddz“ rief über Megaphon: „Wir fordern die Polizei auf, diese Menschen freizulassen!“ Nach Polizeiangaben wurden fünf Beamte verletzt, einer kam ins Klinikum. Um 12.20 Uhr begann die Polizei, Personalien der festgesetzten Demonstranten aufzunehmen und Platzverweise zu erteilen – bis in den Abend.

Reislinger Straße: Weitere Gegendemonstranten gingen bei massiver Polizei-Begleitung über die Rothenfelder Straße stadtauswärts. In Höhe des Edeka-Marktes sollen Autonome eine berittene Polizistin vom Pferd heruntergezerrt haben. Weiter ging’s über die Reislinger Straße. In Höhe des Lerchenwegs sollen Pyrotechnik gezündet und unbeteiligte Personen angegriffen worden sein. Wieder kesselte die Polizei die Gegendemonstranten ein, dieses Mal rund 100 Personen. Es kam zu tumultartigen Szenen, vermummte Autonome wollten aus dem Kessel ausbrechen, beide Seiten wurden handgreiflich. Gegen 16 Uhr tauchten Wasserwerfer auf, die vorher an der Marschroute der Nazis postiert waren. Sie kamen aber nicht zum Einsatz. Stundenlang wurden Personalien aufgenommen, gegen Abend wurde die Lage dann deutlich ruhiger.

Das Bündnis „No-Tddz“ übte massive Kritik. Sprecherin Lisa-Marie Breuer: „Die Vehemenz, mit der gegen den antifaschistischen Widerstand vorgegangen wurde, steht in der Tradition der Maßnahmen gegen den Widerstand“. Sie sprach von einer „Kriminalisierung des Protests“.

Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 3. Juni 2013

Wolfsburg: Aufmarsch durch menschenleere Straßen

Menschenleer waren die Straßen eines Gewerbegebiets im niedersächsischen Wolfsburg durch das am Samstag mehrere hundert Neonazis marschierten. Die ursprünglich angemeldete Route durch die Innenstadt war ihnen ebenso untersagt worden, wie eine Alternativroute durch den Stadtteil Fallersleben. Vor Gericht waren sie mit einer Klage gegen die zugewiesene Route gescheitert. Außerhalb der von der Polizei mit Gittern und starken Polizeikräften hermetisch abgeriegelten Strecke, waren die Proteste bunt und vielfältig. Angekündigte Blockaden des Aufmarsches wurden jedoch durch die Polizei verhindert.

Ein riesiges Transparent auf dem Gebäude des VW-Werks war über der ganzen Stadt zu sehen: „Respekt – Kein Platz für Nazis“. Vor dem Gewerkschaftshaus waren Stände verschiedener Gruppen aufgebaut. Mit dem Slogan „Hier ist nur die Bratwurst braun!“ verkaufte eine Gewerkschaftsgruppe Bratwürste. Die Kundgebung des „Schulterschluß der Wolfsburger Demokraten“ startete mit Reden des Oberbürgermeister Mohrs und des VW-Betriebsratschef Osterloh und einem großen musikalischen und kulturellem Beiprogramm. Direkt vor der Bühne war die Zahl der Zuhörer aber eher überschaulich. Viele Menschen drängten sich dagegen vor dem angrenzenden Bahnhof, wo die Neonazis ihre Auftaktkundgebung abhielten, um in Hör- und Sichtweite zu protestieren.

Insgesamt sprach die Polizei von 5000 Gegendemonstranten, davon 450 die sie der „gewaltgeneigten linksextremen Szene“ zurechnet. Ursprünglich hatten die Veranstalter, der „Schulterschluß der Wolfsburger Demokraten“, mit bis zu 10.000 Menschen gerechnet.

Der Aufmarsch der neonazistischen „Initiative Zukunft statt Überfremdung“ startete konnte erst mit 2-stündiger Verspätung beginnen. Anreisende GegendemonstrantInnen hatten immer wieder den Bahnhof blockiert, so dass die Züge mit den Neonazis teilweise verspätet eintrafen. Gegen 14 Uhr begrüßte der Anmelder, Dieter Riefling aus Söhlde bei Hildesheim, dann die Anwesenden zum „5. Tag der deutschen Zukunft“, die aus „allen Gauen Deutschlands“ zahlreich gekommen seien. Die Neonazis, die meisten aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen, hatte sich zu Beginn im Halbkreis aufgestellt um die Reden vom Vorsitzenden der Partei „Die Rechte“, Christian Worch, dem Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke und Thomas Wullf zu hören.

Die Redner forderten u.a. „kriminelle Ausländer raus“ und warnten vor einen angeblich gezielt geplanten „Volkstod“. Der scheint dabei auch die eigenen Reihen zu bedrohen: Waren beim „Tag der Deutschen Zukunft“ vor zwei Jahren in Hildesheim noch 750 Neonazis sank die Zahl der Teilnehmer jährlich. In Wolfsburg beteiligten sich am Samstag nur noch rund 570 Neonazis. Zusammengekommen war hier der radikale Teil der Szene, sowohl aus dem Spektrum der „Freien Nationalisten“ als auch aus der Partei „Die Rechte“ und der NPD. Auffallend war die gestiegene Zahl weiblicher Teilnehmerinnen. Neben Frauen mit blonden geflochtenen Zopfen trugen viele ihre Haare knallig bunt gefärbt. Neben Neonazis im schwarzen Outfit der „Autonomen Nationalisten“ waren auch ein paar im klassischen Outfit der der rechten Skinheadszene gekommen: Bomberjacken mit Flecktarn, Springerstiefel, heruntergelassene Hosenträger und hochgekrempelte Jeans erinnerten ein bisschen an die Szene der 90er Jahre.

Nachdem der Aufmarsch der Neonazis vom Bahnhof vorbei am Science Center Phaneo und dem Outlet Center Wolfsburg gezogen war, war von den Gegenprotesten nichts mehr zu hören oder zu sehen. Es ging nun durch menschenleere Straßen vorbei an Autowerkstätten,  Firmengelände und Bürogebäuden.

Das hielt die Neonazis nicht davon ab lautstark und aggressiv ihre Parolen zu rufen. Forderungen wie „Alles für Volk, Rasse und Nation!“ sowie „Ruhm und Ehre der deutschen Nation!“ und „Nationaler Sozialismus – jetzt jetzt jetzt!“ verhallten allerdings ungehört in den leeren Straßen des Gewerbegebiets, das weiträumig mit Gittern und von starken Polizeikräften abgesperrt war.

Mehre hundert Menschen versuchten trotzdem immer wieder auf die Route zu gelangen. Die Polizei sprach von „vereinzelten Steinwürfen gegen Polizeieinsatzkräfte.“ Insgesamt seien „16 Identitätsfeststellungen zur Strafverfolgung durchgeführt“ und 11 „Linksextreme“ kurzzeitig in Gewahrsam genommen worden. 29 strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. Zeitweise hatte die Polizei mehrere hundert AntifaschistInnen eingekesselt.

So abgeschirmt von den Protesten erreichten die Neonazis bereits nach anderthalb Stunden wieder den Bahnhofsvorplatz. Dort sprach der Szeneanwalt  Wolfgang Narath und Maik Müller, Organisator des »Aktionsbündnis gegen das Vergessen«, welches seit 2007 die Trauermärsche am Abend des 13. Februar in Dresden durchführt. Er kündigte an, dass der „Tag der deutschen Zukunft“ im nächsten Jahr in der Elbmetropole stattfinden wird. Gegen 18 Uhr hatte alle Neonazis den Bahnhof in extra bereitgestellten sonderzügen wieder verlassen.

Die Polizei zeigte sich weitgehend zufrieden mit dem Polizeieinsatz, der sich im Rahmen des „Üblichen solcher Anlässe“ bewegt habe: “Durch starke Wachsamkeit und konsequenten Polizeieinsatz konnten wir die Situation kontrollieren.” Es sei gelungen unmittelbare Konfrontationen der Gruppen zu verhindern oder im Keim zu ersticken, so Einsatzleiter Podehl.

Das Bündnis „No TDDZ – Keine Zukunft für Nazis“, das neben antifaschistischen Gruppen u.a. auch von Gewerkschaftsjugendgruppen, Studierendenvertretungen und der Grünen Jugend Niedersachsen unterstützt wurde, kritisierte dagegen die Polizei:

„Der heutige Naziaufmarsch in Wolfsburg kann von uns nur als Paradebeispiel für polizeistaatliche Maßnahmen bewertet werden. Die Vehemenz mit der gegen den antifaschistischen Widerstand vorgegangen wurde, steht in der Tradition der Maßnahmen gegen den Widerstand in Dresden, in dessen Folge mehrere Menschen noch heute mit Repressionen konfrontiert sind … Die Bilanz des heutigen Tages sind mehrere Festnahmen, viele Verletzte und hunderte Menschen die trotz aller Widrigkeiten immer wieder versuchten auf die Route der Nazis zu gelangen.“

Auch die Grüne Jugend Niedersachsen (GJN) sprach von „ausufernden Kontrollen“, die teilweise dazu geführt hätten, das ihre Mitglieder erst verspätet zu den Kundgebungen du Protesten gelangten. Malte Schaper, Mitglied im Landesvorstand der GJN resümierte: „Uns haben bisher schon zahlreiche, zum Teil erschütternde Berichte über das zeitweise völlig unverhältnismäßige Vorgehen einiger Polizeieinheiten erreicht. Einschüchterung, z.B. durch kollektive und unbegründete Anzeigen mehrerer Menschen wegen ‘schweren Landfriedensbruchs’, und Behinderung antifaschistischen Engagements scheint eine Maxime dieses Einsatzes gewesen zu sein, denn beinah alle Busse der anreisenden AntifaschistInnen wurden komplett kontrolliert und so mehrere Stunden aufgehalten. Besonders schockierend ist für uns die in Teilen massive und häufig unangekündigte Gewaltanwendung mit Schlagstöcken und der starke Einsatz des ernsthaft gesundheitsgefährdenden Pfeffersprays. Es bleibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einer demonstrationsfreundlichen Polizei in Niedersachsen.“

Zeit Online, 03. Juni 2013

http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/06/03/wolfsburg-aufmarsch-durch-menschenleere-strasen_13133