Wackeliger „Schulterschluss“

Die angebliche Einigkeit zwischen NPD, Kameradschaften und „Die Rechte“ entpuppt sich bei der Demonstration in Wolfsburg als schnöde Propaganda – „Freier Widerstand“ formiert sich als Alternative zur NPD in Niedersachsen.

Offiziell sollten die Teilnehmer und Redner des „Tags der deutschen Zukunft“ (TddZ) am 1. Juni in Wolfsburg laut Organisator Dieter Riefling „das gesamte Spektrum des Nationalen Widerstandes“ widerspiegeln, doch ohne verborgene Kampfansage an die NPD unter Holger Apfel lief der Aufmarsch am Samstag mit rund 500 Teilnehmern nicht ab.

Allein schon die Ansage, dass der nächste „TddZ“ Anfang Juni 2014 in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden stattfinden soll, kann als Affront gegen den dortigen Landesverband der Partei gewertet werden, denn Riefling und seine Truppe arbeiten vor allem eng mit dem NPD-kritischen „Netzwerk Mitte“ und den „Freien Nationalisten“ der Region zusammen. Deren Vertreter Maik Müller kritisierte einige „Vertreter der NPD“, die gefordert hätten, „man möge doch die BRD als demokratischen Rechtsstaat erhalten“. Müller lehnte das ab, sprach von der „hässlichen Fratze der Demokratie“ und forderte: „Zeit für eine sozialistische und nationalistische Wende, liebe Volksgenossen!“ Für den Dresdner trägt die Fahne die Farben des „Deutschen Reiches“. In seinem Redebeitrag zitierte er den verstorbenen bayrischen Altnazi Friedhelm Busse, der nicht als Parteigänger galt: „Wir sind keine Palaverpartei, wir sind die radikale deutsche Kampforganisation zur Veränderung der BRD“.

Ehemaliger Kader der verbotenen „Blood&Honour“-Organisation

Gemeinsam mit Dieter Riefling organisierten vor allem alte Hamburger Kameradschaftskader wie Christian Worch und Thomas Wulff die Demonstration. Worch ist Gründer der NPD-Konkurrenzpartei „Die Rechte“, deren Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen liegt. Doch erwartungsgemäß wechseln auch ehemalige freie Weggefährten, die vorübergehend bei der NPD aktiv waren, wieder zurück in Worchs Reihen. Teile der Szene scheinen sich an dieser Tendenz zu spalten, denn der vermögende Erbe mit dem selbstgefälligen Touch ist nicht unumstritten.

Dieter Riefling, der Moderator der Veranstaltung, ist ein ehemaliger Kader der verbotenen „Blood&Honour“-Organisation, später kandidierte auch er für die NPD. Er gilt seit Jahren als polizeibekannt. Bei einer häuslichen Auseinandersetzung mit seiner früheren Ehefrau, die im Bundesvorstand der NPD aktiv ist, kam es vor einiger Zeit zu einem Notruf bei der Polizei. Riefling wird zum Umfeld des „Nationalen Widerstands“ in Hildesheim sowie der „Bürgerinitiative für Zivilcourage“ gezählt.

Die Neonazi-Redner sprachen mehrfach von Wolfsburg als „KdF“-Stadt. Während des Nationalsozialismus hieß die neu gegründete Wohnstadt für die Volkswagen-Mitarbeiter offiziell „Stadt des KdF-Wagens“, gemeint war die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ sowie der Vorläufer des in Wolfsburg produzierten VW-Käfers. Die Gegenproteste blieben an dem Samstag allerdings weit hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Nur wenige Tausend Menschen demonstrierten in der Nähe des Wolfsburger Hauptbahnhofs.

„Hervorragende Gilde an Rednern der Bewegung“

Tatsächlich nahmen an dem Marsch durch ein Gewerbegebiet in der niedersächsischen Autostadt kaum lokale NPD-Funktionäre teil. Dem „NPD Niedersachsen“-Transparent mit seinen vier Trägern, darunter der Anhänger der „Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg“ René Grahn, folgte keine Fußtruppe. Anders als von Riefling propagiert, scheint es mit dem „engen Schulterschluss“ zwischen NPD, der Worch-Partei „Die Rechte“ und Freien Kräften schlecht zu laufen. Seine „hervorragende Gilde an Rednern der Bewegung“ bestand mit Ausnahme des Berliner Landeschefs der NPD, Sebastian Schmidtke, vor allem aus ehemaligen Parteikadern oder Worch-Sympathisanten wie Wolfram Nahrath aus Berlin, Thomas Wulff genannt „Steiner“, Michael Brück aus Dortmund und eben Maik Müller aus Dresden.

Einige der Teilnehmer aus Nordrhein-Westfalen sind wie Brück aus dem Umfeld des verbotenen „Nationalen Widerstands Dortmund“ in die Führungsebene von Worchs „Die Rechte“ gewechselt. Ebenso der Anführer der verfassungsfeindlichen „Kameradschaft Hamm“, der vorbestrafte Bielefelder Student Sascha Krolzig, der in Wolfsburg außerhalb des Aufmarsches als Pressevertreter auftrat und sich mit gültigem Ausweis unauffällig unter die zahlreichen Medienvertreter mischte. Krolzig und Brück gehören sogar dem Landesvorstand der „Rechten“ an.

An der Neonazi-Demonstration in Wolfsburg nahmen rund 70 junge Frauen teil, das entspricht einem Anteil von 14 Prozent. Viele von ihnen widersprachen gängigen weiblichen Klischees und trugen knallbunt gefärbte Haare. Keine von ihnen ging in diesem Jahr an das Rednerpult. Bei den menschenverachtenden Parolen brüllten sie jedoch genauso laut mit wie die Männer.

„Aryan Brotherhood Supporter“ unter den Teilnehmern

Insbesondere die zahlreichen Transparente und Fahnen der „Freien Nationalisten“ aus Niedersachsen verhöhnten den schwachen NPD-Landesverband unter dem unbeliebten Parteichef Ulrich Eigenfeld. Die „Freien Kräfte Niedersachsen Ost“ setzen sich vor allem aus Braunschweiger Aktivisten der „Aktionsgruppe 38“, der „Kameradschaft Thormania“, dem „Widerstand Gifhorn“ und Wolfsburger Neonazis zusammen. Die „Aktionsgruppe Weserbergland“ vertrat die westliche Region und die „Weißen Wölfe Terrorcrew“ sowie Anhänger aus der Nordheide und der Landeshauptstadt Hannover ergänzten das Bild.

Ansonsten kamen Kameradschaftsanhänger und „Autonome Nationalisten“ vor allem aus Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Schleswig-Holstein. Michael Fischer von der „Aktionsgruppe Weimarer Land“ trat als einer der Mobilmacher mit Megaphon auf. Er brüllte Parolen wie: „Alles für Volk, Rasse und Nation“ vor. Rhythmisch klatschend hüpften die schwarz gekleideten Popnazis dazu.

Neben einer Karikatur von Bundeskanzlerin Angela Merkel stand auf einem Transparent der „Aktion Widerstand“ aus Magdeburg „Multikulti ist gescheitert“. Ähnliche Aussagen trugen Aktivisten aus Neuruppin-Wittenberge oder Nordfriesland vor sich her. Aber auch Sprüche oder Tattoos wie „NO MC Red“ oder „2040 – Minderheit im eigenen Land“ waren zu lesen. Einer der Teilnehmer gab sich gar als „Aryan Brotherhood Supporter“ zu erkennen. „Aryan Brotherhood“ gehört in den USA zu den größten und gefährlichsten Neonazi-Organisationen, die für zahlreiche Verbrechen verantwortlich gemacht wird. Die ebenfalls anwesenden Anhänger der „Arischen Bruderschaft“ stammen aus Südniedersachsen und Thüringen.

„Eine neue Zeit deutscher Herrlichkeit“

Angekündigt als Nachfolger des verstorbenen Hamburger Neonazis und Rechtsanwalts Jürgen Rieger, der an „vorderster Front“ in dessen „Fußstapfen“ getreten sei, übernahm Wolfram Nahrath aus Berlin das Mikrophon. Der in der Szene beliebte Jurist, letzter Bundesführer der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ schwadronierte von der „Heiligkeit der Existenz des deutschen Volkes“, wetterte gegen die Parlamente und träumte so lange von einer „neuen Zeit deutscher Herrlichkeit“, bis ihn Organisator Dieter Riefling bat, ans Ende zu kommen. Da hatten kaum noch Neonazis der pathetischen Rede Nahraths zugehört. Auch Riefling gähnte. Doch Nahrath kam mit seinem völkisch-geprägten Frage- und Antwort-Spielchen noch mal richtig in Fahrt und krächzte heiser: „Glaubst du an Deutschland?“ Worauf ihm pflichtbewusst mit „Ja“ geantwortet wurde. Allein Uwe Meenen aus Franken stand regungslos hinter Nahrath, hörte zu. Der umtriebige NPD-Funktionär gilt als emsiger Apfel-Kritiker. Ebenso wie Wulff im Norden zieht Meenen im Süden seit Jahrzehnten die Fäden im Hintergrund.

Etwas mehr Stimmung kam auf, als der niederländische Hitler-Darsteller und Szene-Aktivist Stefan Wijkamp einige Worte sprechen durfte. In niedlichem Holländisch rief der Mann mit Hitlerbärtchen, Seitenscheitel und Mantel: „Ihr fragt euch, was macht der Holländer hier beim TddZ? Ich kann Euch beruhigen, ich fahre heute Abend nach Hause“. Dann brüllte er hinterher: „Schön wäre es, wenn alle Ausländer das Gleiche tun würden.“ Die Menge wachte auf und grölte. Wijkamp erklärte, Niederländer und Deutsche seien „art- und blutsverwandt direkt“, und er „möchte nicht sehen, dass das deutsche Volk untergeht bei dieser multirassionalen (!) Demokratie jüdisch-westlicher Grundlage“. Die Begeisterung wuchs noch. Wijkamp wurde sentimental und schloss mit seinem Bekenntnis zur „germanischen Zukunft“ und dem Satz: „Ich bin der Ausländer, der Deutschland lieb hat.“

Gewaltsamer Zwischenfall in Magdeburg

Nach einem Marsch durch ein völlig menschenleeres Gewerbegebiet am Rande des Hauptbahnhofes in Wolfsburg fand die laute aber wirkungslose braune Veranstaltung am Samstag am späten Nachmittag ein Ende. Die meisten Teilnehmer reisten mit Zügen ab. In Magdeburg kam es noch zu einem gewaltsamen Zwischenfall, als gegen 18.45 Uhr etwa 30 Thüringer Neonazis in ein Einkaufs-Zentrum zogen und dort auf eine Autogramm-Stunde von TV-Serienstars stießen.

Bei Facebook taten deren Ansprechpartner Schläge und Reizgas dann als „Zwischenfall“ von „Chaoten“ ab. Laut Pressemitteilung der Polizei waren fremdenfeindliche Parolen der Auslöser dafür, dass angeblich einer der Besucher auf die große Gruppe Rechtsextremisten einschlug. Die gingen dann auf den noch unbekannten Mann los, der fliehen konnte. Wichtiger als die latente Gewaltbereitschaft randalierender Neonazis scheint indes für Polizei, Fangemeinde und Promis die Tatsache, dass es keinen „Bezug der Auseinandersetzung“ zur Autogramm-Stunde gegeben haben soll.

Blick nach Rechts, 3. Juni 2013