Archiv für den Autor: notddz2013

Wolfsburg: Aufmarsch durch menschenleere Straßen

Menschenleer waren die Straßen eines Gewerbegebiets im niedersächsischen Wolfsburg durch das am Samstag mehrere hundert Neonazis marschierten. Die ursprünglich angemeldete Route durch die Innenstadt war ihnen ebenso untersagt worden, wie eine Alternativroute durch den Stadtteil Fallersleben. Vor Gericht waren sie mit einer Klage gegen die zugewiesene Route gescheitert. Außerhalb der von der Polizei mit Gittern und starken Polizeikräften hermetisch abgeriegelten Strecke, waren die Proteste bunt und vielfältig. Angekündigte Blockaden des Aufmarsches wurden jedoch durch die Polizei verhindert.

Ein riesiges Transparent auf dem Gebäude des VW-Werks war über der ganzen Stadt zu sehen: „Respekt – Kein Platz für Nazis“. Vor dem Gewerkschaftshaus waren Stände verschiedener Gruppen aufgebaut. Mit dem Slogan „Hier ist nur die Bratwurst braun!“ verkaufte eine Gewerkschaftsgruppe Bratwürste. Die Kundgebung des „Schulterschluß der Wolfsburger Demokraten“ startete mit Reden des Oberbürgermeister Mohrs und des VW-Betriebsratschef Osterloh und einem großen musikalischen und kulturellem Beiprogramm. Direkt vor der Bühne war die Zahl der Zuhörer aber eher überschaulich. Viele Menschen drängten sich dagegen vor dem angrenzenden Bahnhof, wo die Neonazis ihre Auftaktkundgebung abhielten, um in Hör- und Sichtweite zu protestieren.

Insgesamt sprach die Polizei von 5000 Gegendemonstranten, davon 450 die sie der „gewaltgeneigten linksextremen Szene“ zurechnet. Ursprünglich hatten die Veranstalter, der „Schulterschluß der Wolfsburger Demokraten“, mit bis zu 10.000 Menschen gerechnet.

Der Aufmarsch der neonazistischen „Initiative Zukunft statt Überfremdung“ startete konnte erst mit 2-stündiger Verspätung beginnen. Anreisende GegendemonstrantInnen hatten immer wieder den Bahnhof blockiert, so dass die Züge mit den Neonazis teilweise verspätet eintrafen. Gegen 14 Uhr begrüßte der Anmelder, Dieter Riefling aus Söhlde bei Hildesheim, dann die Anwesenden zum „5. Tag der deutschen Zukunft“, die aus „allen Gauen Deutschlands“ zahlreich gekommen seien. Die Neonazis, die meisten aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen, hatte sich zu Beginn im Halbkreis aufgestellt um die Reden vom Vorsitzenden der Partei „Die Rechte“, Christian Worch, dem Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke und Thomas Wullf zu hören.

Die Redner forderten u.a. „kriminelle Ausländer raus“ und warnten vor einen angeblich gezielt geplanten „Volkstod“. Der scheint dabei auch die eigenen Reihen zu bedrohen: Waren beim „Tag der Deutschen Zukunft“ vor zwei Jahren in Hildesheim noch 750 Neonazis sank die Zahl der Teilnehmer jährlich. In Wolfsburg beteiligten sich am Samstag nur noch rund 570 Neonazis. Zusammengekommen war hier der radikale Teil der Szene, sowohl aus dem Spektrum der „Freien Nationalisten“ als auch aus der Partei „Die Rechte“ und der NPD. Auffallend war die gestiegene Zahl weiblicher Teilnehmerinnen. Neben Frauen mit blonden geflochtenen Zopfen trugen viele ihre Haare knallig bunt gefärbt. Neben Neonazis im schwarzen Outfit der „Autonomen Nationalisten“ waren auch ein paar im klassischen Outfit der der rechten Skinheadszene gekommen: Bomberjacken mit Flecktarn, Springerstiefel, heruntergelassene Hosenträger und hochgekrempelte Jeans erinnerten ein bisschen an die Szene der 90er Jahre.

Nachdem der Aufmarsch der Neonazis vom Bahnhof vorbei am Science Center Phaneo und dem Outlet Center Wolfsburg gezogen war, war von den Gegenprotesten nichts mehr zu hören oder zu sehen. Es ging nun durch menschenleere Straßen vorbei an Autowerkstätten, Firmengelände und Bürogebäuden.

Das hielt die Neonazis nicht davon ab lautstark und aggressiv ihre Parolen zu rufen. Forderungen wie „Alles für Volk, Rasse und Nation!“ sowie „Ruhm und Ehre der deutschen Nation!“ und „Nationaler Sozialismus – jetzt jetzt jetzt!“ verhallten allerdings ungehört in den leeren Straßen des Gewerbegebiets, das weiträumig mit Gittern und von starken Polizeikräften abgesperrt war.

Mehre hundert Menschen versuchten trotzdem immer wieder auf die Route zu gelangen. Die Polizei sprach von „vereinzelten Steinwürfen gegen Polizeieinsatzkräfte.“ Insgesamt seien „16 Identitätsfeststellungen zur Strafverfolgung durchgeführt“ und 11 „Linksextreme“ kurzzeitig in Gewahrsam genommen worden. 29 strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. Zeitweise hatte die Polizei mehrere hundert AntifaschistInnen eingekesselt.

So abgeschirmt von den Protesten erreichten die Neonazis bereits nach anderthalb Stunden wieder den Bahnhofsvorplatz. Dort sprach der Szeneanwalt Wolfgang Narath und Maik Müller, Organisator des »Aktionsbündnis gegen das Vergessen«, welches seit 2007 die Trauermärsche am Abend des 13. Februar in Dresden durchführt. Er kündigte an, dass der „Tag der deutschen Zukunft“ im nächsten Jahr in der Elbmetropole stattfinden wird. Gegen 18 Uhr hatte alle Neonazis den Bahnhof in extra bereitgestellten sonderzügen wieder verlassen.

Die Polizei zeigte sich weitgehend zufrieden mit dem Polizeieinsatz, der sich im Rahmen des „Üblichen solcher Anlässe“ bewegt habe: “Durch starke Wachsamkeit und konsequenten Polizeieinsatz konnten wir die Situation kontrollieren.” Es sei gelungen unmittelbare Konfrontationen der Gruppen zu verhindern oder im Keim zu ersticken, so Einsatzleiter Podehl.

Das Bündnis „No TDDZ – Keine Zukunft für Nazis“, das neben antifaschistischen Gruppen u.a. auch von Gewerkschaftsjugendgruppen, Studierendenvertretungen und der Grünen Jugend Niedersachsen unterstützt wurde, kritisierte dagegen die Polizei:

„Der heutige Naziaufmarsch in Wolfsburg kann von uns nur als Paradebeispiel für polizeistaatliche Maßnahmen bewertet werden. Die Vehemenz mit der gegen den antifaschistischen Widerstand vorgegangen wurde, steht in der Tradition der Maßnahmen gegen den Widerstand in Dresden, in dessen Folge mehrere Menschen noch heute mit Repressionen konfrontiert sind … Die Bilanz des heutigen Tages sind mehrere Festnahmen, viele Verletzte und hunderte Menschen die trotz aller Widrigkeiten immer wieder versuchten auf die Route der Nazis zu gelangen.“

Auch die Grüne Jugend Niedersachsen (GJN) sprach von „ausufernden Kontrollen“, die teilweise dazu geführt hätten, das ihre Mitglieder erst verspätet zu den Kundgebungen du Protesten gelangten. Malte Schaper, Mitglied im Landesvorstand der GJN resümierte: „Uns haben bisher schon zahlreiche, zum Teil erschütternde Berichte über das zeitweise völlig unverhältnismäßige Vorgehen einiger Polizeieinheiten erreicht. Einschüchterung, z.B. durch kollektive und unbegründete Anzeigen mehrerer Menschen wegen ‘schweren Landfriedensbruchs’, und Behinderung antifaschistischen Engagements scheint eine Maxime dieses Einsatzes gewesen zu sein, denn beinah alle Busse der anreisenden AntifaschistInnen wurden komplett kontrolliert und so mehrere Stunden aufgehalten. Besonders schockierend ist für uns die in Teilen massive und häufig unangekündigte Gewaltanwendung mit Schlagstöcken und der starke Einsatz des ernsthaft gesundheitsgefährdenden Pfeffersprays. Es bleibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einer demonstrationsfreundlichen Polizei in Niedersachsen.“

Störungsmelder, 3. Juni 2013
http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/06/03/wolfsburg-aufmarsch-durch-menschenleere-strasen_13133

3000 Polizisten hielten Demonstranten auseinander

Gegenprotestler warfen an der Rothenfelder Straße Steine. Ein Beamter wurde im Klinikum behandelt.

Rund 3000 Polizisten aus sechs Bundesländern waren Samstag im Einsatz, um in Wolfsburg gewaltsame Zusammenstöße zwischen den Gegenprotestlern und den rechtsextremen Demonstranten zu verhindern. Direkte Konfrontationen wurden auf diese Weise vermieden.

Bei Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und linken Autonomen wurden allerdings fünf Beamte sowie mindestens ein Gegendemonstrant leicht verletzt. Ein Polizist musste im Klinikum behandelt werden. Am späten Nachmittag ging es ihm jedoch wieder besser.

Die Antifaschisten hatten immer wieder versucht, an die abgeriegelte Marschroute der Rechtsextremen zu gelangen und die Demo mit Blockaden zu stoppen. Am Mittag schleuderten sie auf der Rothenfelder Straße Steine in Richtung der Beamten. Fünf Linksextreme wurden laut Polizei in einem „Gerangel“ verletzt.

Brenzlig wurde es um 13 Uhr im Hauptbahnhof. Eine größere Gruppe größtenteils vermummter Gegendemonstranten war mit dem Zug angekommen. Die Gefahr bestand, dass sie zum Bahnhofsvorplatz durchbrechen. Die Polizei bildete eine Kette aus Beamten. Die Autonomen reagierten aggressiv, einige griffen Beamte an. Die Gruppe wurde von der Polizei schnell durch einen Nebenausgang hinausgedrängt.

Als der Demo-Zug das Industriegebiet erreicht hatte, zündete ein Fotograf, der mutmaßlich dem antifaschistischen Lager angehörte und im Pressetross unterwegs war, einen Böller, um die Neonazis zu provozieren. Die blieben ruhig. In der Dieselstraße kam es am Nachmittag zu Steinwürfen. Am späten Nachmittag gab es eine kleinere Auseinandersetzung in der Heinrich-Nordhoff-Straße. Ein Demonstrant saß danach verletzt am Boden.

Hunderte Punks, Angehörige der Antifa-Bewegung und anderer linker Gruppierungen waren aus norddeutschen Städten nach Wolfsburg gereist, um gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen zu protestieren. Etwa 450 von ihnen rechnete die Polizei der „gewaltgeneigten linksextremen Szene“ zu. Elf Protestler wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Die Polizei nahm insgesamt 29 Ermittlungsverfahren auf. Die überwältigende Mehrheit verhielt sich jedoch vollkommen friedlich.

Polizeichef Hans-Ulrich Podehl beklagte am Ende des Tages, „dass es immer Beteiligte gibt, die die gewalttätige Auseinandersetzung mit der Polizei suchen“. Das linke Bündnis „No TddZ“ kritisierte das massive Polizeiaufgebot mit Hundestaffeln, berittener Polizei und Wasserwerfern sowie den Einsatz von Pfefferspray.

Wolfsburger Nachrichten, 2. Juni 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/3000-polizisten-hielten-demonstranten-auseinander-id1027812.html

Wolfsburg – internationale Stadt

Polizei, Stadt und Gewerkschaften ziehen eine Bilanz, die positiv ausfällt.
Die Samba-Gruppe der IG Metall trommelt, Bülent Ceylan spricht, vor der Bühne auf dem VW-Parkplatz und in der Innenstadt versammeln sich rund 6500 Menschen. Sie protestieren gegen den Aufmarsch von rund 500 Neonazis.

Gegen 18 Uhr ist der Spuk in Wolfsburg vorbei. Stadt, Polizei und Bundespolizei ziehen ein Fazit, das positiv ausfällt. Es sei friedlicher gewesen, als erwartet, sagt zum Beispiel Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs. So sieht es auch Hartwig Erb, der Bevollmächtigte der IG Metall, die zusammen mit anderen Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen ein großes Demokratiefest auf die Beine gestellt hat.

In der Goethestraße feiern rund 600 Menschen das Fest der Kulturen. Auf der Bühne gibt es Tanzaufführungen, an den Ständen Spezialitäten aus zum Beispiel Portugal, der Türkei und Italien. Wolfsburg, die internationale Stadt, lebt hier ihre Wirklichkeit.

Die Rechtsradikalen setzen sich um 18 Uhr in Sonderzüge und fahren zurück in ihre Heimat. Auch die rund 500 Linksgerichteten machen sich auf den Weg zurück. Es ist ihnen an diesem Samstag nicht gelungen, näher an die aufmarschierenden Neonazis heranzukommen. Die rund 3000 Polizisten schirmen die Rechtsextremen und die Linksextremen nahezu perfekt voneinander ab; die Taktik geht offenbar auf.

Die 570 Rechtsextremen waren zwar stimmgewaltig, ihre einzigen Zuhörer auf dem weiträumig abgesperrten Bahnhofsvorplatz sowie auf der Demo-Strecke waren allerdings nur mehrere Polizeihundertschaften und der Tross der Journalisten. Auffällig: Von ihrem Äußeren waren die Neonazis nicht von Autonomen zu unterscheiden. Auch marschierten viele Frauen mit. Die Rechtsextremen schmetterten aggressive Parolen gegen Ausländer, Israel und das System – blieben gleichwohl friedlich. Noch nicht einmal eine Zigarette durften sie sich für die Zeit der Demo anstecken – wer es dennoch tat, den stauchte der Anmelder der Demo zusammen.

Wolfsburger Nachrichten, 2. Juni 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/wolfsburg-internationale-stadt-id1027781.html

Dank an die Demonstranten

IG Metall, Polizei und Stadt ziehen Bilanz. Ein Extremismus-Experte sieht Veränderungen.
Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs zog am frühen Samstagabend eine positive Bilanz: „Ich bin froh, dass es friedlicher gewesen ist, als wir befürchtet hatten. Es ist ein Sieg der Wolfsburger, die gezeigt haben, dass wir uns so etwas nicht gefallen lassen“, sagte er und schickte eine klare Botschaft an Rechtsextreme hinterher: „Wir hören nicht auf, Widerstand zu leisten. Wir werden uns immer wehren.“

Nach Angaben des Ersten Bevollmächtigten der IG Metall, Hartwig Erb, verfolgten am Mittag rund 6500 Gegendemonstranten die Kundgebung und den Kurz-Auftritt des Comedians Bülent Ceylan auf dem Demokratiefest, darunter allein 5000 VW-Auszubildende. „Wir bedanken uns bei allen, die heute demonstriert haben“, sagte Erb im Namen des Schulterschlusses der Wolfsburger Demokraten. Die Initiative hatte die Protestveranstaltungen auf dem VW-Parkplatz und der Piazza Italia organisiert.

Dass fünf Polizisten in einem „Gerangel“ mit Gegendemonstranten verletzt wurden, ärgerte den Wolfsburger Polizeichef Hans-Ulrich Podehl. „Schade ist, dass es immer Beteiligte gibt, die die gewalttätige Auseinandersetzung mit der Polizei suchen“, sagte er. Insgesamt sei es der Polizei aber gelungen, die Situation zu kontrollieren und direkte Konfrontationen zwischen rechtsextremen Demonstranten und den Gegenprotestlern zu verhindern.

Eine andere Bilanz zog die Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (Arug) in Wolfsburg. Deren Leiter Reinhard Koch und seine Mitarbeiter, ausgewiesene Extremismus-Experten, hatten den Aufmarsch genau beobachtet. Koch sagte: „Es war auffällig, dass nur wenige Rechtsextreme aus der Region in dem Aufmarsch unterwegs gewesen sind.“

Koch schätzt, dass es höchstens 20 gewesen sind. Auch andere Gruppen aus Niedersachsen seien wenig vertreten gewesen, sagte Koch. Für die Organisatoren sei die Teilnehmerzahl kein Erfolg, sagte Koch. Es seien vermutlich weniger als bei den anderen Aufmärschen gewesen. Das sei eher ein Stillstand, vermutlich sogar ein Rückschritt.

Auffällig sei auch, dass sich in den Aufmarsch auch Mitglieder anderer rechtsextremer Milieus gemischt hätten – darunter auch ältere Männer und mehr Frauen als bei anderen Aufmärschen. In der Stadt waren am Tage auch auffallend viele so genannte Hooligans unterwegs gewesen. Das sei beobachtenswert, sagte Koch. Die Zahl der in einer Partei organisierten Rechtsextremen sei bei dem Wolfsburger Aufmarsch eher gering gewesen.

Wolfsburger Nachrichten, 2. Juni 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/dank-an-die-demonstranten-id1027756.html

Viel lieber Vielfalt als „braune Soße“

Tausende kamen zur Gegenkundgebung des Bündnisses Schulterschluss der Wolfsburger Demokraten gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten.Den halben Samstag spielten Bands vor einem fast leeren Platz, doch am Mittag wurde es vor der Bühne auf einmal rappelvoll. Tausende verfolgten die Kundgebung des Bündnisses Schulterschluss der Wolfsburger Demokraten gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten, immer wieder brandete spontaner Applaus auf.

„Dieser Platz, diese Stadt, gehören uns“, sagte Oberbürgermeister Klaus Mohrs in seiner Rede. „Die Nazis haben diese Stadt gegründet, aber wir haben diese Stadt zu etwas gemacht, was die Nazis nicht wollten. Wir haben gelernt, einander mit Respekt zu begegnen.“

VW-Betriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh warf der Bundesregierung mangelnden Mut in Sachen NPD-Verbot vor. „Aus meiner Sicht führt kein Weg an einem Verbotsverfahren gegen die NPD vorbei“, betonte er.

Jubel brach aus, als der Comedian Bülent Ceylan gemeinsam mit dem Porsche-Betriebsratsvorsitzenden Uwe Hück nach vorne trat und die beiden die Menge zum Lachen brachten. VW-Personalchef Martin Rosik bezeichnete die soeben am Hauptbahnhof eingetroffenen Rechtsextremen als „braune Soße“. „Neue Kollegen von sehr weit her sind ein großer Gewinn. Unsere Vielfalt ist unsere Stärke“, so Rosik.

Die evangelische Superintendentin Hanna Löhmannsröben erklärte: „Vielfalt ist eine Stärke und kein Unglück.“ Sie forderte dazu auf, die Demokratie mit Worten zu verteidigen. „Wir müssen uns dafür einsetzen, dass verblendete Menschen in die Gesellschaft zurückkehren können. Draufhauen reicht nicht.“

Mit einem „Schalom“ trat die ehemalige Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde, Tova Harety, ans Mikrofon. „Wir sind sehr stolz, dass in dieser Stadt so viele Leute gegen Nazis sind“, freute sich Harety.

„Dieser Protest macht uns Mut“, sagte auch Mechthild Hartung, die Sprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten.

Wolfsburger Nachrichten, 2. Juni 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/viel-lieber-vielfalt-als-braune-sosse-id1027731.html

Wolfsburg ist bunt – auch beim Fest der Kulturen

Auf der Piazza Italia in der Goethestraße gab es kulinarische Spezialitäten aus vielen Ländern.Die Stände beim Fest der Kulturen sind umlagert. Falafel, Bratwurst, mediterrane Spezialitäten gab es hier, köstlichen Tee, Erfrischungsgetränke – Alkohol war an diesem Nachmittag in Wolfsburg auf den offiziellen Feiern verboten.

Auf der Piazza Italia in der Goethestraße waren an diesem Samstag einige Stände aufgebaut. Initiativen aus Wolfsburg und Umgebung betreuten dort die Gäste. Rund 500 bis 600 Besucher tummeln sich ständig dort, essen etwas, plauschen ein bisschen oder sehen den Aufführungen auf der großen Bühne zu.

Dort zeigen Kinder und Jugendliche moderne Tänze wie Hip-Hop und Streetdance. Sie bekommen von den Geschehnissen am Bahnhof und in der Innenstadt nicht besonders viel mit.

Viele Besucher informieren sich aber über den Live-Ticker, den die Wolfsburger Nachrichten an diesem Tag auf ihrer Seite im Internet angeboten haben. Dort sind die wichtigsten Ereignisse kurz und kompakt zusammengefasst. So bleiben viele Wolfsburger auf dem Laufenden – auch die, denen der Weg in die Innenstadt an diesem Samstag zu gefährlich ist.

Auch in der Goethestraße zeigte sich an diesem Samstagnachmittag, was die Stadt Wolfsburg auch ausmacht. Die Stadt ist international, vermutlich internationaler als viele andere Städte. Das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen und Ländern ist für viele gelebte Selbstverständlichkeit. Berührungsängste sind hier schlicht Fehlanzeige.

Wolfsburger Nachrichten, 2. Juni 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/wolfsburg-ist-bunt-auch-beim-fest-der-kulturen-id1027727.html

„Tag der deutschen Zukunft“: Schaulaufen der Neonazi-Größen

Beim „Tag der deutschen Zukunft“ in Wolfsburg zeigten sich viele Neonazi-Größen einträchtig nebeneinander. Die szeneinternen Streitigkeiten traten in den Hintergrund. Ein Erfolg war die Demonstration trotzdem nicht: Die Teilnehmerzahlen stagnieren. Weit schwerer wiegt indes, dass die braunen Marschierer ihre rassistischen Parolen unter Ausschluss der Öffentlichkeit skandierten.

Längst gehört der „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) zu den größten rechtsextremistischen Aufmärschen Deutschlands. Bei der fünften Auflage, die am Samstag in Wolfsburg stattfand, versammelten sich rund 570 Marschierer, um unter dem Motto „Unser Signal gegen Überfremdung“ ihren rassistischen Parolen freien Lauf zu lassen. Sprechchöre wie „Alles für Volk, Rasse und Nation“ könnten entlarvender nicht sein.

Besonders radikale Hardcore-Neonazis treten den Weg gen Norden an. Und so liest sich die Rednerliste mit dem Hildesheimer Dieter Riefling, dem Vorsitzenden der Splitterpartei Die Rechte, Christian Worch, und dem Hamburger NPD-Landesvize Thomas „Steiner“ Wulff, einem der schärfsten Kritiker von NPD-Chef Holger Apfel, wie ein „who is who“ der momentanen braunen Führungsriege. Zu diesen Dreien gesellte sich mit dem „Vater der Autonomen Nationalisten in Berlin“ und aktuellen NPD-Landesvorsitzenden der Hauptstadt, Sebastian Schmidtke, und Wolfram Nahrath, einst Chef der verbotenen „Wiking Jugend“ (WJ), weitere „Szeneprominenz“.

In einer ersten Stellungnahme streicht das Organisationsteam um Riefling den engen Schulterschluss zwischen den verschiedenen Flügeln der „Bewegung“ heraus: „Die Teilnehmer und Redner spiegelten das gesamte Spektrum des Nationalen Wider­standes in der BRD wieder!“, heißt es dort. Die rund 90-minütige Versammlung, die mit zwei Stunden Verspätung begann, sei störungsfrei verlaufen. Kein Wunder, hatte das Verwaltungsgericht Braunschweig die Demonstration doch in ein nahezu menschenleeres Industriegebiet gelegt, das zudem von einem Großaufgebot der Polizei abgeschirmt wurde. Eine Beschwerde dagegen scheiterte vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg.

Die Versuche linker Gegendemonstranten zur Strecke der Neonazis vorzudringen, wurden von den Polizeikräften unterbunden. Die Beamten kesselten an verschiedenen Stellen Autonome ein, ein Polizeisprecher sprach von 500 gewaltbereiten Störern. Bei einzelnen Auseinandersetzung setzte die Polizei Schlagstöcke und Pefferspray ein, berichtet die taz. Fünf Beamte seien durch Steinwürfe verletzt worden, sieben Personen wanderten in Gewahrsam, erfuhr der NDR aus Polizeikreisen.

In der Innenstadt feierten unterdessen zwischen 2.500 (Polizeiangabe) und 8.000 (Angaben der Veranstalter) Menschen ein friedliches „Fest der Demokratie“. Damit blieb der Zuspruch weit unter der im Vorfeld genannten Zahl von mehr als 10.000 erwarteten Gegendemonstranten. Unterstützung erhielten die Neonazi-Gegner von dem Comedian Bülent Ceylan. Auch Volkswagen drückte seine Abneigung gegen die ungebeten Gäste aus: Riesige Transparente mit dem Slogan „Respekt – kein Platz für Rassismus“ hatte der Autobauer am VW-Hochhaus und am Kraftwerk auf der anderen Seite des Mittellandkanals anbringen lassen.

Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs zeigte sich trotzdem zufrieden: Er sagte der Braunschweiger Zeitung: „Ich denke, dass wir einen sehr bunten Protest gesehen haben und bin froh, dass alles friedlicher gewesen ist, als erwartet. Es ist ein Sieg für die Wolfsburger, die gezeigt haben, dass wir uns so etwas nicht gefallen lassen. Wir werden uns immer wieder wehren.“

Endstation Rechts., 02. Juni 2013

http://endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=8292:%E2%80%9Etag-der-deutschen-zukunft%E2%80%9C-schaulaufen-der-neonazi-gr%C3%B6%C3%9Fen&Itemid=773

Rückwärtsgewandter „Tag der deutschen Zukunft“

Beim extrem rechten Aufmarsch zum „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) haben etwa 570 Neonazis in einem Wolfsburger Gewerbegebiet demonstriert, mehrere Tausend Personen nahmen an Gegenprotesten teil. Damit ist die Teilnehmerzahl beim einstigen Zugpferd der Neonazi-Bewegung in Norddeutschland erneut zurückgegangen.

Wenn Reisende am Bahnhof Wolfsburg ankommen, fällt ihr Blick auf das VW-Werk auf der anderen Seite des Mittellandkanals. Dass aber nicht alle in der niedersächsischen Autostadt willkommen sind, bewies am Samstag, den 1. Juni, ein für alle sichtbares riesengroßes Transparent am Werk mit der Aufschrift „Respekt! Kein Platz für Rassismus!“ Mit der gleichen Aufschrift machte die IG Metall am Rand des Sammelpunktes der Neonazis ihre Position deutlich, in den Straßen rund um den Auftaktkundgebungsort des TddZ ertönte schon ab 10.00 Uhr lautstarker Protest.

Fichte und Brecht als Beiwerk für dumpfen Rassismus

Doch die Gegendemonstranten mussten noch länger durchhalten, denn die für 12.00 Uhr angekündigte Veranstaltung der extrem rechten Szene konnte erst mit zwei Stunden Verspätung beginnen. Während der mehrfach vorbestrafte Neonazi Dieter Riefling aus der Nähe von Hildesheim die Auflagen verlas, machte sich bereits Thomas Wulff aus Hamburg bereit, um an das Mikrofon zu treten. Nach seinen rassistischen Tiraden knüpfte er an Bundesfamilienministerin Kristina Schröder an und wetterte gegen einen „Rassismus gegen Deutsche“. Ebenso wie Wulff war auch der Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke nicht zum ersten Mal als Redner auf dem TddZ vertreten. Er lobte die Ausrichtung der Veranstaltung, während es sich bei den verbliebenen Großaufmärschen der Szene fast nur noch um Gedenkmärsche mit einem Blick zurück handele. Während Schmidtke mit einem Zitat des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte schloss, setze Christian Worch als nächster Redner noch einen drauf und führte ausgerechnet Berthold Brecht mit der von ihm verfassten „Resolution der Kommunarden“ an.

Menschenfeindliche Parole in leeren Straßen

Dass die „Deutsche Zukunft“ für Neonazis ein rückwärtsgewandtes Gesicht besitzt, bewiesen sie bei ihrem anschließenden knapp 90-minütigen Aufmarsch durch das Gewerbegebiet neben dem Wolfsburger Bahnhof. Der geplante Aufmarsch durch die Innenstadt war vor Gericht ebenso gescheitert wie die Anmeldung einer Alternativveranstaltung im nahe gelegenen Fallersleben. Und so führte der Weg der Neonazis über eine menschenleere Route vorbei an Autohäusern und Outlet-Shops, Zuhörer und Schaulustige waren dort nicht anzutreffen. Stattdessen hallten Parolen wie „Alles für Volk, Rasse und Nation“ und „Ruhm und Ehre der deutschen Nation“ durch die Straßen, das antisemitische „Nie wieder Israel“ war genauso nicht zu überhören wie die Eigeneinschätzung „Autonom, militant, nationaler Widerstand“. Die Neonazis stammten nicht nur aus Norddeutschland, sie kamen unter anderem aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und  Thüringen. Bereits gegen 16.15 Uhr traf der Zug wieder am Bahnhof ein, wo der ehemalige Vorsitzende der verbotenen Wiking-Jugend, Wolfram Nahrath, die Abschlussrede hielt. Mittlerweile ist der studierte Rechtsanwalt Mitglied der NPD. Doch auch seine Ansprache geht zum Großteil im Lärm der benachbarten Gegenkundgebung unter.

Der Schulterschluss der extremen Rechten

Der einst so florierende „Tag der deutschen Zukunft“ befindet sich offenbar auf dem absteigenden Ast. Vor drei Jahren hatte der altgediente Neonazi-Kader Dieter Riefling noch 750 Teilnehmer nach Hildesheim mobilisiert, schon ein Jahr später nahm die Zahl der Neonazis in Braunschweig ab, auch in Hamburg im vergangenen Jahr sank die Zahl erneut. Auch in Wolfsburg kann von einem Erfolg nicht gesprochen werden, schließlich sahen die Neonazis nur ein menschenleeres Gewerbegebiet. Doch die Szene rückt zusammen und nutzt vor allem die Binnenwirkung des Aufmarsches. Unter dem Dach der „Freien Nationalisten“ zeigen Kameradschaften, NPD und die Partei „Die Rechte“ den Schulterschluss. Da ist es nur naheliegend, dass Dieter Riefling ins Megaphon bellt, „am TddZ kenne ich nur Deutsche und keine Parteien“. Trotz wiederholter Distanzierungsversuche von Teilen der Szene zeigt sich hier besonders, dass sie einen gemeinsamen Nährboden besitzt: die Ungleichwertigkeit der Menschen und den daraus erwachsenden dumpfen Rassismus. Der wird sich auch im kommenden Jahr erneut Bahn brechen, denn der nächste TddZ soll am 7. Juni 2014 in Dresden stattfinden.

Publikative.org, 02. Juni 2013

http://www.publikative.org/2013/06/01/ruckwartsgewandter-tag-der-deutschen-zukunft/

Entschlossen und laut gegen rechts

Polizei und Bündnis Bunt statt Braun haben am Sonnabend rechten Umtrieben in der Stadt Gifhorn einen Riegel vorgeschoben.

Die Strategie ging auf, mögliche Aufzugplätze rechtzeitig mit eigenen Veranstaltungen zu blockieren und die Rechtsradikalen von außerhalb gar nicht erst in die Stadt zu lassen. So blieb alles ruhig.

Dennoch war die Polizei sicherheitshalber mit einem massiven Aufgebot vertreten. Vor allem am Bahnhof Gifhorn, wo die Regionalzüge mit den Rechtsradikalen auf der Strecke Hannover-Wolfsburg planmäßig hielten, konzentrierten sich kräftig armierte Einheiten von Polizeiinspektion Gifhorn, Bereitschaftspolizei und Bundespolizei.

Um rechtsextreme Spontan kundgebungen zu vermeiden, durften die Neonazis die Züge gar nicht erst verlassen, in denen sie von vornherein von Beamten begleitet wurden. Für die Rückfahrt organisierte die Polizei gar einen Sonderzug.

Das Bündnis Bunt statt Braun aus Kirchen, Gewerkschaften und Parteien zeigte derweil Solidarität dem Wolfsburger Schulterschluss der Demokraten. Am Bahnhof Süd machte die multikulturelle Trommelgruppe des Kultbahnhofs Lärm gegen Rechts. IG Metall und DGB bezogen am Bahnhof Gifhorn Stadt Position. „Wir setzen ein Zeichen gegen Rechts und informieren die Bürger“, sagte Gunter Wachholz vom DGB.

Wolfsburger Nachrichten, 02. Juni 2013

http://www.wolfsburger-nachrichten.de/region/gifhorn/entschlossen-und-laut-gegen-rechts-id1026327.html

„Haut ab, hier will euch keiner“

Tausende machten in Wolfsburg klar, was sie von dem Neonazi-Aufmarsch halten: Gar nichts. Eine Reportage über einen bewegten Tag.Der Mann mit den halblangen braunen Haaren, mit Regenjacke und Rucksack ausgerüstet, brüllt sich die Seele aus dem Leib. „Nazis raus“, schreit er. Und „Haut ab, verpisst euch“. Immer wieder. Jeder Ruf wird mit einem Wippen des ganzen Körpers begleitet, so wie einst Franz Josef Strauß seine Reden hielt. Der Mann ist empört. Dahinten laufen sie, die ihn so aufregen.

Es ist kurz nach 15 Uhr in Wolfsburg. 100 Meter Luftlinie entfernt machen sich gerade die knapp 600 Neonazis vom Phaeno-Vorplatz auf, durch das abgesperrte Industriegebiet zu marschieren. Der Mann reckt sich noch einmal und stellt sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf den Tross zu erhaschen, mit den schwarz-weiß-roten Fahnen und den braunen Gedanken. „Euch will hier keiner“, ruft er und streckt beide Arme zum Autofahrer-Gruße in den Himmel. Als sich der Mann umdreht, huscht ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht.

10.15 Uhr Wolfsburg Hauptbahnhof

Wilfried Berg, Leiter der Polizeiinspektion Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel, ist schon früh angereist. Er ist einer von 3000 Beamten, die Wolfsburg heute sicherer machen, die verhindern sollen, dass Neonazis und gewaltbereite Antifaschisten aufeinandertreffen.

Ein Anruf unterbricht das Gespräch. „Ich muss jetzt hier mal rangehen“, sagt Berg, nicht genervt, aber energisch. Berg leitet den Einsatz. Nicht den ganzen, wie er betont, aber einen heiklen Abschnitt. „So ein Einsatz ist wie eine Torte. Für das Tortenstück, das den Aufzug der Rechten überwacht, bin ich zuständig.“

Berg ist sich seiner Verantwortung bewusst. Und auch der Rolle, die die Polizisten haben. „Wir müssen diese Menschen schützen. So schwer es fällt und so unzumutbar es auch für uns ist, diese Parolen den ganzen Tag zu ertragen.“ Man habe die Aufgabe, darauf zu achten, dass hier keine Straftaten geschehen. „Wenn hier mit Gesten oder Plakaten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen wird, schreiten wir ein.“

Gegen den Vorwurf der Antifa, deutsche Polizisten würden die Faschisten schützen, wehrt er sich. „Wenn die an der Macht wären, die wir heute schützen, wären wir doch die ersten, die verboten würden.“ Das müsse man auch den jungen Menschen sagen, die die Beamten an Tagen wie diesen pausenlos beleidigen würden.

Berg wollte an diesem Abend eigentlich in Berlin sein, beim DFB-Pokalfinale. Die Karte hat er abgegeben. Nun steht er in Wolfsburg, schützt die Demokratie und wartet auf Züge aus Magdeburg und Hannover. Im letzteren sollen 800 Personen sein. Links- und Rechtsextremisten, dazwischen die Bundespolizei.

11.30 Uhr: Parkplatz am Hauptbahnhof

Etwa 200 Bürger beobachten die Situation hier. Die Polizei hat den Bahnhof massiv abgesperrt. Der Zugang für Reisende zu den Gleisen wird immer wieder gestoppt. Das bekommt auch eine Familie mit zwei schweren Koffern und einem Kinderwagen zu spüren. Eine Polizistin stellt sich ihnen in den Weg. „Wir müssen heute nur noch bis nach Berlin. Unser Flieger geht erst morgen. Das schaffen wir schon“, sagt der Mann, nachdem er freundlich abgewiesen wurde.

Einige Demonstranten sind vermummt, mit dicken Sonnenbrillen und schwarzen Kapuzenpullis. In die meisten Gesichter kann man allerdings schauen. Sie sind entschlossen. Bunte Fahnen wehen. „Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg“ ist dort zu lesen. „Respekt“ steht auf vielen T-Shirts und auch das Bündnis Schulterschluss ist da.

Christa Westphal-Schmidt bekennt sich dazu. Sie sei zwar mit der SPD in Wolfsburg verbunden. Heute, sagt sie, sei sie aber als Privatperson hier. „Gesicht zeigen“, nennt sie das. „Ich will wie die meisten Menschen hier, den Neonazis, die sich Wolfsburg wegen seiner Geschichte ausgesucht haben, zeigen, dass sie hier an der falschen Adresse sind. Wir dulden hier keine rassistischen Parolen.“ Mehr noch hoffe sie allerdings, dass es friedlich bleibt.

12 Uhr: Alarm an der Shisha-Bar

Was Christa Westphal-Schmidt sagt, denken die meisten. Ausnahmen gibt es auch. Der Marsch des schwarzen Blocks durch die Innenstadt, entwickelt sich zu einem unkontrollierten Sprint. 150 Autonome rennen los, Hundertschaften in schwerer Montur hinterher. An der Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Rothenfelder Straße wird die Gruppe gestellt und eingekesselt.

Alles andere als chillig geht es jetzt hier unweit einer Shisha-Bar zu. Polizisten werden angegriffen, sagt die Einsatzleitung. Steine fliegen und treffen einen Beamten. Reizgas liegt in der Luft. Ein Beamter kauert hinter einem Bully. Er schüttet sich literweise Wasser in die rot geschwollenen Augen. Später wird er von Sanitätern in ein Wohnhaus begleitet. Ein Anwohner hatte das offenbar angeboten. Bis nach 16 Uhr ist die Rothenfelder Straße gesperrt. Die Polizei nimmt Personalien auf, jeder potenzielle Straftäter wird fotografiert.

15 Uhr: Samba-Protest, Innenstadt

Der regionsübergreifende Widerstand gegen den Neonazi-Aufmarsch zeigt sich am eindrucksvollsten an der Samba-Trommelgruppe, die sich in Sichtweite des Phaenos postiert hat. Ulrike Größler ist aus Gifhorn angereist, zwei Mitglieder von Samba-Attack aus Braunschweig und auch Mitglieder der IG Metall aus Wolfsburg, deren Trommelgruppe sich nach Simon Bolivar, dem südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer, benannt hat, machen mit.

Nur wenige Meter weiter, versuchen sich die eingetroffenen Neonazis um Veranstalter Dieter Riefling Gehör zu verschaffen. Größler und ihre sechs Mitspieler schlagen zu – immer auf die Pauke. Der musikalische Leiter, ein Mann in rosa Jeans, gibt den Takt vor, indem er immer wieder in eine Trillerpfeife bläst. Die stehengebliebenen Passanten klatschen im Rhythmus. „Menschenwürde statt Rassismus“, ruft Ulrike Größler aus voller Überzeugung. Von den Nazis ist nichts zu hören.

Wolfsburger Nachrichten, 2. Juni 2013