Wer ganz rechts sitzt, hat nur linke Nachbarn

Das Verwaltungsgericht hat am Montag das Verbot der Neo-Nazidemo am 1. Juni gekippt. Wie damit umgehen, das war Thema des WN-Leserforums

Ignorieren? Auf gar keinen Fall. Man dürfe Neonazis und Rechtsradikale nicht ignorieren. Reinhard Koch, Leiter des Zentrums Demokratie in Wolfsburg und ausgewiesener Kenner der rechten Szene, lässt keinen Zweifel. So sehen es auch die anderen Teilnehmer des Leserforums der Wolfsburger Nachrichten, die gestern Abend rund 90 Minuten mit rund 100 Zuhörern in der Volkshochschule diskutiert haben.

Der Anlass ist ernst. Daran lässt Roger Fladung, Vize-Polizeipräsident der Polizeidirektion Braunschweig, keinen Zweifel. Aus einsatztaktischen Gründen nennt er keine Zahlen, lässt aber durchblicken, dass die Zahl der Polizisten, die am 1. Juni in Wolfsburg sein werden, mindestens vierstellig ist.

Bei einem Aufmarsch dieser Art in Hamburg vor rund einem Jahr war es zu zahlreichen Ausschreitungen gekommen. Mehrere Polizisten waren dabei angegriffen und verletzt worden.

Was ist das für ein Gefühl für einen Polizisten, will Moderator Christoph Knoop von Fladung wissen. Und Fladung, der seit Jahren an solchen Einsätzen beteiligt ist, sagt: „Polizeibeamte fühlen sich nicht gut; Sie sitzen zwischen den Stühlen“.

Mehr als 1000 Polizisten also sollen die Stadt und ihre Bewohner, aber auch die Grundrechte schützen.

Am 1. Juni werden rund 700 Rechtsradikale und Neonazis in Wolfsburg erwartet. Sie haben einen Aufmarsch angemeldet. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat diesen Aufmarsch am Freitag in einer Eilentscheidung erlaubt. Das Gericht hat am Freitag allerdings zahlreiche Einschränkungen gemacht; Die Neonazis werden nicht auf der Route marschieren dürfen, die sie gefordert haben. Das Gericht hat eine andere Strecke angeordnet. Eine Strecke, auf der längst nicht so viel passieren kann wie auf der ursprünglich geplanten. Diese hätte mitten durch die Innenstadt geführt, und Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehr wären in ihrer Arbeit so stark gefährdet worden, dass es ein veritables Sicherheitsproblem gegeben hätte. Außerdem, auch das ist eine Entscheidung des Braunschweiger Gerichts, dürfen die Neonazis nur bis 18 Uhr marschieren; dann muss die Veranstaltung beendet sein. Sie hatten ihre „Demonstration“ bis 22 Uhr angemeldet.

Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs kann mit der Entscheidung leben, sagt er. Das Gericht habe die Stadt in der vergangenen Woche um eine alternative Route für den Aufmarsch gefordert. „Diese haben wir geliefert“, sagt Mohrs.

Ignorieren also sei falsch, sagen die Experten. Verbieten ließen sich solche Demonstrationen aber auch schlecht. Artikel 8 des Grundgesetzes sichere die Versammlungsfreiheit. „Verbieten sollte man die NPD“, sagt der Verfassungsrechtler Professor Joachim Perels aus Hannover. Perels meint, das Bundesverfassungsgericht müsse die Angelegenheit durchdeklinieren.

Wer wird da nach Wolfsburg kommen, fragt Moderator Christoph Knoop. „Es wird ein breites Spektrum der rechten Szene sein“, sagt Experte Reinhard Koch. Er erwartet sogenannte Freie Kameradschaften, auch Parteigremien wie die NPD und ihre Nachwuchsorganisation JN.

Koch schätzt, dass rund 50 bis 70 Rechtsgesinnte aus der Region dabei sein werden, der Rest werde von außerhalb kommen. Koch sieht die, die da in Wolfsburg aufmarschieren, in einer schlechten Position. Das führt er vor allem auf den „Schulterschluss der Demokraten“ in Wolfsburg zurück – ein Zusammenschluss von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden und anderen Organisationen, der friedlich gegen den Aufmarsch am 1. Juni demonstrieren will. Es sei den Rechten nicht gelungen, die Stadt zu spalten, sagt Koch. Das, was in Wolfsburg passiere, sei außergewöhnlich, sagt Koch. Denen, die nach Wolfsburg kommen, müsse klar sein: „Wer ganz rechts sitzt, hat nur linke Nachbarn“. So sieht das auch Verfassungsrechtler Perels.

Wolfsburgs Oberbürgermeister rechnet mit mehr als 10 000 Menschen, die am Samstag, 1. Juni, gegen die Rechten protestieren werden. Dazu fordert auch Roger Fladung auf. Er hoff auf einen „kreativen“ Protest der Wolfsburger.

Den wird es allem Anschein nach geben. Der Schulterschluss arbeitet an zahlreichen Aktionen. In anderen Städten gab es bei solchen Anlässen zum Beispiel Sitzdemonstrationen. Einen solchen Protest gibt es im Juni möglicherweise auch in Wolfsburg. Wolfsburg sei beispielhaft, sagt Experte Koch. Das werde sich am 1. Juni zeigen. Koch sagt: „Die kommen hier keine 100 Meter weit“. Das Forum applaudiert.

Wolfsburger Nachrichten, 13. Mai 2013

http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/wer-ganz-rechts-sitzt-hat-nur-linke-nachbarn-id1003194.html