Den Naziaufmarsch ignorieren?

Die Wolfsburger Nachrichten wollen am 13. Mai auf einem Leser_innenforum der Frage nachgehen, wie mit dem Naziaufmarsch umgegangen werden kann.
„Verbieten, Ignorieren, Gesicht zeigen?“ sind als Möglichkeiten dabei genannt. Das Ignorieren von Naziaufmärschen stellt in Wolfsburg erfreulicherweise nur eine Randposition in der Debatte dar und ist durch die Ankündigung vielfältiger Aktionen am 1. Juni mittlerweile zurückgewiesen worden. Dennoch soll es noch einmal ernsthaft diskutiert werden, was angesichts des gerade begonnen Prozesses gegen Beate Zschäpe und vier Unterstützer des NSU mehr als fahrlässig ist.
Hier einige Bemerkungen zum oft anempfohlenen „Konzept“ des aktiven Weg-Ignorierens von Nazi-Aufmärschen.


„Der Kampf um die Straße“ durch Demonstrationen und Kundgebungen ist fester Bestandteil extrem rechter Strategien: Fast jedes Wochenende marschieren Neonazis in Kommunen in Ost- und Westdeutschland auf. Um Öffentlichkeit zu schaffen, das Szene-interne „Wir“-Gefühl in der Konfrontation mit Polizei und Gegendemonstrant_innen zu stärken, nicht-rechte Jugendkulturen und andere Opfergruppen einzuschüchtern und die politische Diskussion vor Ort zu bestimmen.

Demonstrationen dienen wesentlich dazu, die Attraktivität der extrem rechten Lebenswelt zu steigern, neue Mitglieder zu rekrutieren und Machtansprüche zu formulieren.

Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.“

Umberto Eco

Anlässlich von Aufmärschen und anderen Veranstaltungen von Nazis hört mensch immer noch Stimmen, dass Neonazis überhaupt, aber besonders ihre Aufmärsche doch am besten (weg)ignoriert werden sollten. Begründung ist zumeist, dass sie somit weniger Öffentlichkeit (Presse) erreichen könnten und sich weniger bestätigt fühlen würden. Oder um das scheinbar positive Image der betroffenen Ortschaft zu bewahren, also negative Presse zu vermeiden.

In Wolfsburg hat sich anlässlich verschiedener Naziaktivitäten ein breites Bündnis zusammengefunden. Nicht Ignorieren, sondern gemeinsam aktiv werden, dafür steht der Schulterschluss der Demokraten. Mit unterschiedlichen Veranstaltungen wird der Schulterschluss vor und am 1. Juni den Protest gegen den Naziaufmarsch artikulieren.

Das Ignorieren des Naziaufmarsches ist glücklicherweise nur eine kleine Randerscheinung der Diskussionen in der Stadt. Auch wenn die Polizei sich so etwas wünscht, um einen möglichst reibungslosen Polizeieinsatz – mit wenigen Einsatzkräften – zu erleben und vielleicht auch um die zahlreichen V-Leute in den Reihen der Nazidemonstration zu schützen, so sieht die Realität anders aus.

Der Vorschlag des Wegignorierens blendet zudem völlig aus, dass es praktische Gründe gibt gegen eine Nazi-Demonstration zu protestieren, die über eine symbolhaftes Ablehnung zeigen hinausgehen.

  1. Von einer Ansammlung von Neonazis geht immer eine massive Bedrohung und Einschüchterung für deren Feindbilder (MigrantInnen, Linke, Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle etc.) aus. Von den Hasspredigern der Szene noch aufgeheizt besteht beständig die Gefahr, dass sich aus einem rechten Aufmarsch heraus rassistische Übergriffe auf Personen oder Angriffe auf Gebäude (z.B. Synagogen) ereignen. Sich in einer solchen Situation auf die Polizei verlassen zu wollen, sofern diese in ausreichendem Maß überhaupt vertreten ist, ist hochgradig naiv. Das beweisen zahllose Beispiele, wo die Polizei sich vor Ort auch im aktiven Wegignorieren übte. Nur ein, den Naziaufmarsch „begleitender“ zahlreicher und entschlossener Gegenprotest kann solche Übergriffe unterbinden und abwehren. Wo ein solches Gegenpotenzial nicht vorhanden war, wie z.B. bei den Spontanaufläufen der „Autonomen Nationalisten“ in letzter Zeit, kam es zu Hetzjagden und brutalen Übergriffen durch Nazis. Bezeichnend ist, dass der Vorschlag des Weg-Ignorierens von Nazi-Aufmärschen zumeist von Personen gemacht werden, die keiner sichtbaren Minderheit angehören und damit persönlich nicht bedroht sind. Hier zeigt sich offensichtlich die eigene Ignoranz und Ich-Bezogenheit gegenüber der Gefahr für Andere.

  1. Solidarität mit (potentiellen) Naziopfern! Eine antifaschistische Aktion gegen Naziaktivitäten ist immer auch ein Signal an potentielle und tatsächliche Opfer von Nazis und gibt ihnen das Gefühl, nicht alleine zu sein. Für alle von den Nazis als „Feinde“ deklarierten Menschen (Migrant_innen, Linke, Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle, Juden, Drogenkonsument_innen etc.) stellen Nazis immer eine Gefahr für Leib und Leben dar. Die Verbundenheit mit diesen Menschen auszudrücken und gemeinsam Stärke zu beweisen, ist wichtiger Moment einer antifaschistischen Aktion.

  1. Wenn der Naziaufmarsch für die Teilnehmer keine Vergnügungstour („Zuckerschlecken“) ist, wird er für Sympathisanten und Noch-Nicht-Überzeugte weniger attraktiv, dass heißt der Aufmarsch beschränkt sich auf einen harten Kern. Natürlich sollte offen erkennbaren oder an den Argumenten erkannten Neonazis das Leben und Nazi-Dasein schwer gemacht werden. So wird zwar nicht der harte Kern zur Umkehr bewegt, dieser wird sich eher einem Märtyrer-Komplex hingeben. Aber mit der braunen Ideologie Sympathisierende werden bei einer „die ganze Welt hasst euch“-Stimmung eher passiv verharren, sich nicht outen und sich damit nicht (weiter) in die Szene abrutschen bzw. sich ideologisch verhärten, sondern eher wieder Abstand gewinnen und nehmen. Sehen diese Menschen keinen gesellschaftlichen Gegenwind gegen Nazis, wird das Nazisein als „nicht so schlimm“ und als gesellschaftlich akzeptiert angesehen. Die Folge ist, dass Nazis Zulauf bekommen und sich in der Gesellschaft fest verankern können. Wissenschaftlichen Untersuchungen zu Folge sind extrem rechte Einstellungen bei etwa 15 – 20% der Bevölkerung vorhanden – das sind wesentlich mehr, als die NPD Wähler hat. Die Anzahl der Unentschlossenen ist daher nicht zu unterschätzen.

  1. Durch eine ständige „Begleitung“ oder gar eine Blockierung von Neonazi-Aufmärschen oder anderen Nazi-Veranstaltungen verhindert mensch, dass diese ihre Hetze in der Bevölkerung ungestört verbreiten können. In Regionen, wo es in Vergangenheit keinen oder nur ungenügend antifaschistischen Widerstand gab, konnten die Nazis bei dem Teil der Bürger_innen mit einer extrem rechten Einstellung andocken und dementsprechende Stimmengewinne erzielen. Das jahrelange Ignorieren von Naziaktivitäten, machte es gerade der NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern leicht, ihre Strukturen dort auszubauen und sich in den Parlamenten festzusetzen.

  1. Jeder Aufmarsch, den Nazis widerstandslos durchführen konnten, jeder Tag, an dem Nazis nicht wegen ihrer Meinung Probleme bekommen, bestärkt sie in ihrem Handeln. Gelungene Aktionen motivieren immer zum Weitermachen und senden bestärkende Signale in die Naziszene. Wird ihnen aber der Tag vermiest, ist es unwahrscheinlich, dass sie in nächster Zeit wieder versuchen werden in dieser Stadt Fuß zu fassen bzw. wenn sie hier wohnen, werden sie es sich zwei mal überlegen, ihre Meinung erneut öffentlich kundzutun. Anti-Nazi-Aktionen sind immer eine sinnvolle Form, um zu zeigen, dass Nazis und ihre menschenverachtenden Inhalte nicht toleriert werden. Bei gelungenen Gegenaktionen, z.B. bei einer Gegendemo zu einem Naziaufmarsch, wird die Presse mehr über diese, als über die Nazis berichten, was Nazis als Misserfolg werten werden. Und Misserfolge haben weder einen bestärkenden Charakter für Nazis, noch bewegen sie Unentschlossene dazu, weiter ins extrem rechte Milieu abzurutschen.

Wir alle haben etwas dagegen, dass die Neonazis durch Wolfsburg oder andere Städte marschieren wollen. Aber Neonazistrukturen können sich dort ausbreiten, wo ihnen bisher nur wenige Widerstände entgegen gesetzt wurden, in einem Klima des Wegschauens und Verschweigens. Dagegen gilt es, die Stimme zu erheben und aktiv zu werden! Es gilt dabei aber nicht nur am 1. Juni 2013 dem Naziaufmarsch in Wolfsburg, der NPD oder anderen Nazigrüppchen entschieden entgegenzutreten, sondern sich jedem rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Denken und Handeln zu widersetzen – egal wo und wie es sich zeigt. Nur so kann der „Kampf um die Köpfe“ wirklich geführt werden.

Die beste Strategie, die Neonazistrukturen gesellschaftlich zu schwächen, bleibt ein umfassender antifaschistischer Politikansatz, der emanzipatorische linke Politik mit einem konfrontativen Antifaschismus verbindet.

Niemand wird uns die Aufgabe abnehmen, die Nazis auch wirklich aufzuhalten. „Naziaufmarsch verhindern!“ heißt für uns, das wir dort, wo die Neonazis letztendlich ihren Aufmarsch genehmigt bekommen und gut geschützt durch die Polizei marschieren wollen, unsere Stimme erheben und uns ihnen ganz konkret in den Weg stellen werden.

Dabei begreifen wir die Verschiedenheit der Widerstandsformen in Wolfsburg als einen Wert und daraus folgend hoffen wir, dass den Neonazis möglichst vielfältige Aktionsformen entgegengesetzt werden. Wir werden uns das moralische Recht, den Nazis ihre Aufmarschroute nicht nur politisch, sondern auch möglichst ganz praktisch streitig zu machen, nicht nehmen lassen.

Den Kopf in den Sand zu stecken war noch niemals ein erfolgversprechender Ansatz zur Problemlösung. Und erst recht ist es keine angemessene Auseinandersetzung mit einer menschenverachtenden Ideologie und deren versuchter oder tatsächlichen Macht-Demonstration auf der Straße und im Alltag!

Am 1. Juni werden wir den Nazis, ihren Machtansprüchen und ihrer Ideologie gemeinsam eine entschlossene Absage erteilen!

Wolfsburg, 7. Mai 2013

No TddZ – Keine Zukunft für Nazis!