Ein Buch behandelt anlässlich des Wolfsburg-Jubiläums die dunkle Vergangenheit von Stadt und Werk.
„Erinnern gehört zum Menschsein dazu“, sagte Stephan Krull am Sonntagnachmittag im Centro Italiano bei der Buchvorstellung des kritischen Werkes „Stadt des KdF-Wagen/WOB“.
Im Jubiläumsjahr der Stadt werden die ersten sieben Jahre ihrer Geschichte nicht gefeiert, doch Stephan Krull, der Herausgeber des Buches, verlangt, „wenn 75 Jahre gefeiert werden, müssen die ersten sieben Jahre auch behandelt werden.“ Es gehe um die Grundsteinlegung des Volkswagenwerkes am 26. Mai 1938 im Beisein von Adolf Hitler und die folgenden sieben Jahre Zwangsarbeit und Säuglingsmord. Das Buch solle einen kritischen Beitrag zum Jubiläumsjahr leisten und befasse sich mit der dunklen Vergangenheit von Stadt und Werk. Mitautor Alfred Hartung: „Die Stadt sagt, wir haben das genug aufgearbeitet. Aber wenn man Straßen und Schulen nach Ferdinand Porsche benennt, ehrt man weiterhin die Täter und verhöhnt die Opfer.“
Die Autoren behandeln unter anderem die Thesen, dass das VW-Werk mindestens auch als Rüstungsbetrieb gegründet worden sei und Ferdinand Porsche ein Kriegsverbrecher gewesen sei. Außerdem sei bis in die 70er-Jahre hinein eine gewisse Kontinuität im Personal des Betriebs erkennbar gewesen, und die Zuständigen hätten lange Zeit keine Verantwortung für die Vergangenheit übernommen.
Mechthild Hartung, ebenfalls Mitautorin, fand klare Worte: „Es werden viele Worte gesprochen, aber keine sichtbaren Konsequenzen gezogen. Porsche ist verantwortlich für 20 000 Zwangsarbeiter und 350 ermordete Säuglinge. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass Porsche nach wie vor geehrt wird.“ Auch sei widersprüchlich, dass der Oberbürgermeister angesichts des 1. Juni „voller Munde“ gegen Nazis sei und gleichzeitig eine Personalrätin mit starkem Kontakt zur NSDAP dulde.
Die Autorinnen und Autoren erkennen deutlich den Widerhall des Nationalsozialismus in unserer heutigen Gesellschaft und suchen nach Wegen, Aufklärung zu schaffen und die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mechthild Hartung: „Wir haben viel Dreck vor der Tür.“
Das Publikum lauschte gebannt und aufmerksam den kurzen Vorträgen der Autoren. In der anschließenden Gesprächsrunde äußerte sich eine Frau aus dem Publikum: „Wissenschaft und Technik sind ethisch nicht gebunden. Viele sind froh, wenn sie Arbeit haben und übersehen deshalb gewissenslos die Schattenseiten ihres Arbeitgebers.“
Wolfsburger Nachrichten, 26. Mai 2013
http://www.wolfsburger-nachrichten.de/lokales/Wolfsburg/kritischer-beitrag-zum-75-stadtgeburtstag-id1019453.html