Grundrechte auch für Rechtsextreme? Der Bauch sagt nein, das Hirn sagt ja

Beim Leserforum der Wolfsburger Nachrichten ging es auch um die Frage: Wie weit darf Protest gehen?

Grundrechte für alle? Auch für Feinde des Grundgesetzes? Diese Frage beschäftigte am Montagabend die rund 100 Teilnehmer des Leserforums der Wolfsburger Nachrichten.

Gemeinsam mit der Volkshochschule hatten die Wolfsburger Nachrichten vier Experten eingeladen, die mit den Teilnehmern diskutierten: Roger Fladung, Vize-Polizeipräsident der Polizeidirektion Braunschweig, Oberbürgermeister Klaus Mohrs, Extremismus-Experte Reinhard Koch und den emiritierten Politikwissenschaftler Prof. Joachim Perels.

Nur eine Stunde vor dem WN-Leserforum hatte das Verwaltungsgericht Braunschweig das Verbot der rechtsradikalen Demonstration am 1. Juni gekippt. Ja, die Neonazis dürfen marschieren. Aber nicht auf der Route, die sie eigentlich gerne gegangen wären (siehe Grafik). Zudem muss die Veranstaltung um 18 Uhr zu Ende sein – deutlich früher als von den Veranstalter geplant. „Natürlich wäre es uns lieber gewesen, wenn der Aufmarsch nicht stattgefunden hätte“, sagte Oberbürgermeister Klaus Mohrs.

Es sei „das Paradoxon der Grundrechte“, das auch in Wolfsburg Bauchschmerzen verursache, vermutete Prof. Joachim Perels. „Aber genau das ist ein Schwäche als auch eine Stärke des Grundgesetzes.“

Während das Hirn also durchaus aufseiten der Grundrechte steht, fällt dem Bauch das schon schwerer. Denn zur Versammlungsfreiheit gehört auch das Recht von Neonazis, ihre Aufmärsche durchzuführen – und die Pflicht der Polizei, dieses Grundrecht auch durchzusetzen. Wie unterschiedlich dieses Thema aufgenommen wird, wurde klar bei der Frage des WN-Moderators Christoph Knoop, wer denn beispielsweise durch Sitzstreik die Straße blockieren würde, auch wenn die Polizei auffordere, die Straße freizugeben. Viele machten durch Handzeichen klar: „Wir weichen nicht.“ Polizei-Vizepräsident Roger Fladung sagte allerdings deutlich: „Es gibt eine Schwelle, die man nicht übertreten darf.“ Er vertraue voll und ganz auf die Wolfsburger, dass es zu keiner Gewalt komme, warnte allerdings davor, sich von gewaltbereiten Kräften mitreißen zu lassen.

Gewalttäter von außen, diese Sorge teilten Podium und Forumsteilnehmer gleichermaßen. Verhältnisse wie in Hamburg, wo es im vergangenen Jahr beim gleichen Aufmarsch schwere Krawalle gab, habe man zwar keinesfalls zu befürchten, betonte Roger Fladung.

Allerdings könne es schnell passieren, dass man sich mitreißen lasse und dann in Situationen gerate, in die man eigentlich nicht geraten wolle.

Reinhard Koch, Leiter des Wolfsburger Zentrums Demokratische Bildung, war da zuversichtlich. „Es gibt für die Rechtsradikalen hier nichts zu gewinnen.“ Die Stadt habe sich nicht auseinanderdividieren lassen, das sei für die Organisatoren des Aufmarsches ein Schlag –und das sei das, was Wolfsburg von vielen anderen Städten unterscheide.

DAS GERICHTSURTEIL

Die neue Route war laut Gericht notwendig, um Rettungswege freizuhalten. Zudem müsste die Strecke erfahrungsgemäß komplett gesperrt werden. Außerdem könne die Polizei die Porschestraße kaum kontrollieren.

Ein Totalverbot durch die Stadt lehnte das Gericht ab. Durch die neue Route könnten die Beeinträchtigungen auf „ein hinnehmbares Maß“ reduziert werden.

Für ihn eine der treibende Kräfte: Der Schulterschluss der Wolfsburger Demokraten. Hier haben sich Kirchen, Vereine, Verbände und die Politik zusammengeschlossen, um gemeinsam am 1. Juni Flagge zu zeigen. Insgesamt hofft das Bündnis auf bis zu 10 000 Gegendemonstranten.

Wolfsburger Nachrichten, 14. Mai 2013

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